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JAMAICA
EINMAL
ANDERS
Teil 13
30.07.2008 – Y.S. Falls - Appleton Estate - Accompong -
Bamboo Avenue -
Fort Charles Bay
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Für
7:00 haben wir unser Frühstück bestellt, da wir so
zeitig wie möglich aufbrechen wollen.
Einen anderen Fahrer müssen wir uns vielleicht auch noch
suchen, falls die gestrige Ansage nicht noch revidiert wird. Fragen
will ich jedenfalls nicht mehr und gehe noch vor dem
Frühstück zur Straße, um nach einem
fahrbaren Untersatz Ausschau zu halten. |
Billy Bay ist aber noch total
verschlafen und keine Seele ist auf den Straßen auszumachen.
Also gehe ich erst einmal zurück, um nach unserem
Frühstück zu sehen. Pauline ist auch noch nicht
aufgestanden, und wir müssen auf unser
Frühstück eine halbe Stunde länger warten
als vereinbart. Dann ruft mich Pauline tatsächlich ans
Telefon. Es ist Lennie. Er versucht mit mir zu handeln, aber ich habe
keine Lust dazu. „Bei 160 USD fällt der Trip
definitiv aus!“, sage ich zu ihm. „Es gibt
genügend andere Fahrer, die für weniger fahren. Auch
auf deiner Internetseite stehen nach wie vor die Preise, die wir
abgestimmt haben.“, ergänze ich. Lennie
überlegt und geht schließlich auf 120 USD runter.
Gut, wegen 20 Dollar Unterschied werde ich jetzt nicht nach einem neuen
Fahrer suchen und womöglich viel Zeit verplempern, die uns am
Ende des Tages fehlt. Ich sage zu und Brian, der die Sache aus der
Ferne verfolgt, ist erleichtert. So können wir entspannt unser
Frühstück genießen, während Brian
das Auto wienert und sich auf die Fahrt vorbereitet.
Zuerst fährt Brian in Richtung Pedro Cross, um dort seinen
Tank aufzufüllen. Dann nehmen wir die Straße
über Newell, Barbary Hall und Park nach Black River. In Black
River werden wir erst morgen einen Spaziergang zur Auffrischung unserer
Erinnerungen durchführen und fahren deshalb gleich weiter in
Richtung Middle Quarters und von dort zu den Y.S. Falls.
Die Fälle sind in Privatbesitz und liegen auf einer riesigen,
landschaftlich reizvollen Farm. Weit ausladende riesige Bäume
stehen im satten Grün und spenden Rindern und Pferden
Schatten, die sich eng gedrängt darunter ausruhen. Ein paar
Kuhreiher schweben durch die Landschaft und halten Ausschau nach ihrer
persönlichen Kuh.
Bild 1 - 4: Landschaft bei den Y.S. Falls
Bild 3 + 4: Die Rinder suchen schon am
Morgen den Schatten unter den Bäumen
Die Sonne brennt schon erbarmungslos, obwohl es noch früh am
Morgen ist. Der Eigentümer des Grundstücks
hält sämtlichen Fahrverkehr von den
Fällen fern. Ungefähr 15 Traktorminuten vor den
Fällen befindet sich deshalb die
Anmeldung mit großzügig gestaltetem Souvenirshop und
Kasse. Für den Erwachsenen
sind 14 und für Kinder 7 USD zu berappen, wenn man an die
Fälle will. Madlen
nimmt man uns noch als Kind ab, was uns einen Teil der Preissteigerung
für die
Tour wieder zurückbringt. Dann geht die Fahrt in kleinen
Personenwaggons,
gezogen von einem Traktor, auf holprigen Wegen über die
ausgedehnten
Weideflächen der Ranch. Immer wieder muss angehalten und
Weidegatter geöffnet
und geschlossen werden. Als wir den Wald erreichen wird es ein wenig
frischer.
Neben uns rauscht bereits der Y.S. River mit milchigem Wasser durch das
steinige Flussbett. Scharfkantige Steine sieht man nicht, alles ist
rund
genuckelt und mit Kalk überzogen. Der Weg ist schmal. Keine
Chance für
Gegenverkehr. Die Traktorfahrer haben sich darauf eingestellt und
stimmen sich
mit Funkgeräten ab, wer wann in welche Richtung fahren kann
oder besser in
einer der wenigen Ausweichnischen der Strecke warten soll.
Dann ist es soweit und
die wohl imposantesten Fälle von
Jamaica zeigen sich im dichten Dschungel.
Bild 1 - 3: Y.S. Falls
Das Wasser stürzt in mehreren breiten
gleichmäßigen Kaskaden
von einem Becken in das andere. Jetzt geht es nur noch zu Fuß
weiter. An jeder Stelle des
Weges gibt es immer wieder neue Eindrücke. Ein paar Guides
warten auch schon auf Kundschaft, die zum
Glück noch äußerst spärlich
gesät ist. Wir haben wieder „Schwein“ und
die richtige Zeit getroffen.
Allerdings sind diese Fälle sowieso eher der Geheimtipp und
bei weitem nicht so
stark frequentiert wie die Dunn´s River Falls in Ocho Rios.
Hoffentlich bleibt
das so. Diese Fälle hier kann man aber auch nicht besteigen
und
muss am Rande
entlang nach oben gehen und gelangt so von einem Becken in das
andere. Einen
Guide, der uns unbedingt ins Wasser bringen will, vertrösten
wir auf später.
Zuerst wird der gesamt Weg abgegangen und angeschaut was anzuschauen
geht. Eine
fantastische Natur. Wenn man genügend Zeit hat, kann man hier
durchaus einen
halben Tag oder länger verbringen.
Bild 1 + 2: Canopy Ride über den
Y.S. Falls
Es hat sich viel verändert und viel Neues ist dazu gekommen.
Über uns spannt sich ein Seil durch die Bäume und
plötzlich kommt es ins
Schwanken und eine Person kommt daran herunter geglitten. Canopy Ride
gab es
hier früher noch nicht. Mit 30 USD wäre man dabei.
Aber das muss ich nicht
unbedingt haben, auch wenn es noch so schön sein mag und plane
lieber ein
ausführliches Bad mit harmlosem Sprung vom Tarzanseil ein.
Laut Brian baut der
Besitzer die Anlagen immer weiter aus und will den Fußweg auf
noch höher
liegende Kaskaden ausdehnen. Zurzeit ist der weiter führende
Weg aber noch
gesperrt und nicht fertig gestellt. Also geht es zurück zur
Badestelle mit dem
Tarzanseil, wo die Water-Guides bemüht sind, den
Spaß erst einmal genau
vorzuführen. Immer schön an deren Anweisungen halten
und es kann überhaupt
nichts passieren. Klamotten aus, etwas abkühlen, Handschuhe an
und ab geht’s
mit Schwung über eines der Wasserbecken und hinein in die
Fluten.
Bild 1 - 4: "Tarzan" in den Y.S. Falls
Auch hier ist wegen der Regenfälle der
zurückliegenden
Wochen, die Strömung stärker als sonst. Als ich
wieder auftauche, treibe ich
schon mit unglaublicher Kraft der nächsten Kaskade entgegen.
Die Guides
gestikulieren auf der Klippe wie wild, aber ich habe längst
selbst verstanden,
dass ich etwas tun muss, um nicht eine Etage tiefer zu landen.
Eigentlich gut
machbar, wenn man sich nicht vertrödelt. Unter die
Fälle schwimmen, wie früher
schon einmal probiert, geht heute nicht wegen der verstärkten
Strömung. Aber
weil´s so einen Spaß macht geht es gleich noch
einmal zurück ans Seil zu einem
neuen Sprung.
Bild 1 - 4: Baden in den Y.S. Falls
Marion und Madlen lassen sich nicht verleiten, da kann sich
der Guide bemühen wie er will. Aber er kennt ein paar Stellen,
wo man auch ohne
zu baden mit den Fällen in Tuchfühlung gehen kann.
Für mich hat er noch paar andere Sachen auf Lager, die ich
meinem Vorführmeister nachmachen soll. Letztendlich soll ich
auch noch in das tiefer liegende
Becken springen. „Du zuerst!“, sage ich ihm. Ich
springe doch nicht ins
Ungewisse ohne vorher gesehen zu haben, dass es funktioniert und vor
allen
Dingen wo genau! Nach diesem Sprung ist dann aber Schluss mit dem
Geplansche.
Noch schnell ein paar Fotos und dann geht es wieder in die Sachen.
Brian steht
ebenfalls die ganze Zeit im Trockenen und hatte auch keine Lust
für diese
schöne Erfrischung. Aber er hat ja diese Gelegenheit sicher
öfter.
Nach dem sich unser sehr fürsorgliche Guide über ein
Trinkgeld von uns gefreut hat, gehen wir wieder in Richtung
Haltestelle. Auch
dort gibt es einen umfangreichen Souvenirshop, der nichts zu
wünschen übrig
lässt. Ein paar Stapel aktueller Albumwerbung von Morgan
Heritage, Anthony B
und Anderen, liegen auch zur kostenlosen Mitnahme bereit. Leider sind
wir für
den Transport von Postern nicht gerade ausgestattet und gefaltete oder
geknitterte
Poster möchten wir nicht mit nach Hause nehmen. Mit Postern
ist das sowieso
immer so eine Sache. Am liebsten würde man sich ja jedes
Poster gerne
einverleiben, aber wo hängt man die dann später alle
hin. Nur die wenigsten
haben bisher einen Platz zuhause gefunden, und der Rest wartet in einer
immer
dicker werdenden Rolle auf künftige Wiederentdeckung. Also
lassen wir das
lieber.
Dann kommt auch schon unser Sonder-(Traktor)-Zug und schafft
uns wieder aus dem Paradies heraus zurück zur
Ausgangsposition. Es geht weiter
mit unserem Tagesplan. Wir passieren bald die Bamboo Avenue, die wir
aber erst
für unseren Rückweg als Halt einplanen. Weiter geht
es nach Norden in Richtung
Maggotty und von dort zur Appleton Estate. Dort werden wir uns so
richtig und
ganz legal benebeln und für den restlichen Tag die beste Laune
verschaffen. Wer
dort schon einmal war oder den Namen Appleton kennt, weiß
warum.
Appleton gibt es seit
1743
und ist der beste Rum aus Jamaica oder gar weltweit. Das Gut
ist die älteste Zuckerrohrplantage und Schnapsbrennerei von
Jamaica. Das zum
Fermentationsprozess benutzte Wasser ist besonders weich und kommt von
einer
eigenen Quelle des Grundstücks. In unzähligen
Holzfässern reift der kostbare
„Saft“, bis er zu den verschiedensten Kreationen
zusammengestellt wird. Es gibt
den braunen Rum in verschiedenen Altersklassen wie 8, 12, 21 oder 30
Jahren. Am
beliebtesten ist die Sorte V/X, der wohl am meisten in den Pappkartons
der beschwipsten
Besucher als Mitbringsel landet. Übrigens steigt der Preis, um
so älter das
kostbare Nass ist. Erkennbar und aufgedruckt ist das Alter am oberen
runden
Etikett der Flasche. Wobei der braune feine Rum überwiegend
der Exportrenner
ist und bei 40% Alc./Vol. liegt, wird von den Jamaicanern der
weiße Rum
bevorzugt, der es allerdings mehr als in sich hat. Mit 62,5% oder auch
bis ca.
75% "guaranteed full strength" ist der “Wray
& Nephew Overproof“ mit gelben Etikett, der am
meisten verkaufte
Rum. Pur oder nur mit ein wenig Wasser verdünnt,
kann man sich so ein
wenig bei den einheimischen Gelagen Respekt verschaffen, da dies in der
Regel
nicht das Getränk der Inselbesucher ist. Aber damit ist die
Produktpalette noch
längst nicht ausgeschöpft – jedenfalls
nicht bei dem abschließenden
Verkostungsgelage der dort angebotenen Rumtour. Da gibt es Kreationen
mit
Kokosnuss, Schokolade, Kaffee, diversen Gewürzen und und und
… Viel Spaß und
genau überlegen was man kostet. Was sowieso im Shop gekauft
wird, muss man
vorher nicht kosten, sonst schafft man es womöglich nicht mit
Durchkosten der
Flaschenbatterie.
Als wir auf den Parkplatz von Appleton einschwenken und
unser Auto verlassen, liegt schwerer süßlicher und
betörender Geruch in der
Luft. Herzlich willkommen zur Rum Tour.
Bild 1: Eingangstor zur "Appleton
Estate"
Bild 2 + 3: Tickets
Bild 4 + 5: Fabrikgebäude von
Appleton Estate
Volljährige „Kinder“ gilt es nun auch als
volljährig
anzugeben, sonst wird man selbstverständlich von der
Verkostung ausgeschlossen.
Die Markierung erfolgt wie bei „All Inclusive“ mit
farbigen Plastearmbändchen.
15 USD kostet der Spaß je Person, nicht für Brian,
da Fahrer und Führer in der
Regel kostenfrei mit ihren Gästen mitgehen können.
Brian ist schon jetzt voller
fröhlicher Stimmung, obwohl es noch gar nichts zu trinken gab.
Aber das ändert
sich sofort. Gleich nach der Begrüßung gibt es den
ersten Becher als Wegzehrung
in die Hand. Wir brechen auf zur Rum Tour.
Fotografieren verboten – jedenfalls im Innenbereich der
Destille.
Von der Zuckerrohrernte bis zum fertigen Rum bekommt der
Besucher einen Einblick. Teilweise in die Industrieanlagen und
teilweise in
gesonderten Vorführungen, die nicht ohne Spaß
verlaufen.
Wo man früher noch richtige Esel an der Zuckerrohrpresse
hatte, werden heute bei jeder Vorführung Touristenesel
benötigt, die im Kreise
traben müssen, bis das Zuckerrohr seines
süßen Saftes beraubt ist. Donkey
Brian, der eigentlich kein Tourist ist und sich freiwillig gemeldet
hat,
schlägt sich tapfer. Dafür darf er auch als erster
das Ausgangsprodukt der
Rumherstellung kosten. Auch die weiteren Zwischenschritte bis zum
fertigen Rum
können verkostet werden. Dann geht es ins Fasslager, wo wir
erst einmal „unser“
Fass aussuchen und entsprechend beschriften. Leider wird sich daran
niemand
halten. Wie viele Dollars hier umgerechnet wohl lagern?
Bild 1 - 6: Appleton Estate
Bild 1 - 3: Im Fasslager von Appleton
Estate
Bild 2: "Mein" signiertes Fass
Bild 3: Nicht alle Fässer
dürfen signiert werden!!
Bild 4: Besteigbarer Aussichtsturm
Bild 6: Historischer Rum-Transporter
Aber nun geht´s zum krönenden Abschluss der Tour in
die wohl
temperierte Probierstube. Erst einmal wird der Tresen mit neuen vollen
Flaschen
bestückt und die ganze Galerie erläutert. Dann kommt
für die Erstbesucher die
unglaubliche Ansage: „Die Bar gehört
ihnen!“ Wir kennen das ja schon, und es
ist wirklich so. Jeder kann trinken so viel er will und was er will.
Aber
Vorsicht ist geboten. Draußen in der Hitze gibt´s
dann den Hammer auf den Kopf,
mit Sicherheit für jene Leute, die ihre Grenzen nicht kennen.
Allerdings kann
man auch ganz schnell bei den vielen leckeren Geschmacksnoten den
Überblick und
die Beherrschung verlieren.
Bild 1 + 2: Verkostung bis zum "geht nicht
mehr" ist möglich
Besonders lustig wird es dann meistens bei den Bustouren, wo
Leute die sich vorher nie kannten, gemeinsam Lieder singen, Witze
reißen und
die Flaschen in den Gepäckablagen klappern oder auf dem Boden
davon rollen.
Auch wir nehmen natürlich ein paar Flaschen mit und
müssen uns leider
einschränken, da wir mit unserem Reisegepäck
aufpassen müssen. Immerhin hat man
uns schon bei der Herreise unser Übergewicht am
Flughafenschalter aufgezeigt. Sicher
und scheinheilig verpackt im “Wray
& Nephew Overproof“ Karton, wandert unsere Beute von
V/X und klarer
leckerer Kokosnussrum in Brians Auto. Auf unserer Weiterfahrt gibt es
keine
Lieder. So viel haben wir dann doch nicht getrunken und unser
Tagesprogramm ist
schließlich auch noch nicht zu Ende.
Es geht zurück in
Richtung Maggotty und von dort nach Norden, hoch in die Berge
über Whitehall,
in Richtung Accompong.
Accompong ist das
wichtigste Maroon-Dorf der Insel. Es ist der Haupt-Ort der
Leeward-Maroons, der
nach dem Maroon-Führer Accompong benannt worden ist. Er ist
der Bruder von
einer Reihe anderer bedeutender Sklaven-Führer wie Cudjoe,
sowie Quao, Cuffy
und Nanny, die zusammen vom Volk der Ashanti aus dem Bereich des
heutigen Ghana
nach Jamaica als Sklaven verschleppt worden sind. Accompong wurde 1739
gegründet, nachdem die Maroons mit den Briten einen
Friedensvertrag geschlossen
hatten, der ihnen weitestgehend Autonomie zusicherte. 1795 brach jedoch
ein
erneuter Maroon-Krieg aus. Accompong verhielt sich neutral und war die
einzige
Maroon-Siedlung, die in diesem Krieg nicht zerstört wurde.
Noch heute leben
dort ungefähr 3000 Nachfahren der ursprünglichen
Maroons. Der Ort kann
besichtigt werden, jedoch nicht ohne Anmeldung und auch nicht auf
eigene Faust.
Wir quälen uns eine
enge Piste mit atemberaubenden Ausblicken in die Berge hinauf. Wenn
Gegenverkehr kommt ist guter Rat teuer. Einer der Beiden muss
zurück und sich
eine Nische am Wegesrand suchen. Vorzugsweise der, der nicht den
Abgrund auf seiner
Seite hat. Am liebsten möchte man laufen, denn immer wenn die
Aussicht am
schönsten wird, besteht keine Haltemöglichkeit.
Beruhigend ist aber, dass überhaupt
Gegenverkehr existiert. Denn so lange noch Fahrzeuge entgegenkommen,
können wir
gewiss sein, dass es noch weiter geht. Es gibt zwar noch eine weitere
Strecke
über Windsor und Aberdeen, aber die soll nach unserer Kenntnis
noch schwieriger
sein.
Bild 1 - 3: Landschaftseindrücke
auf dem Weg nach Accompong
Bild 4: Ortseingangsschild in Accompong
Inzwischen ziehen in
der Ferne dunkle Wolken auf, leichtes Grummeln ist zu vernehmen und ab
und zu
treffen die ersten Regentropfen auf unsere zugestaubten Fenster.
Hoffentlich
hält das Wetter noch ein paar Stündchen aus. In der
Luft liegt der Geruch von
Feuer, Hähne krähen und Hunde bellen in der Ferne.
Dann sind wir schließlich am
Ziel und sehen das Ortsschild von Accompong. Nun dürfen wir
nicht mehr weiterfahren.
Gleich am Ortseingang befindet sich so eine Art von
Dorfgemeinschaftshaus in
dem auch ein kleines Museum untergebracht ist. Hier sitzen auch schon
die
Dorfältesten, die über unseren Besuch zu entscheiden
haben. Aber von wegen
„kleine Spende“ am Ende der Ortsbesichtigung, wie
man in verschiedener
Reiseliteratur nachlesen kann, das gilt längst nicht mehr.
Auch in Accompong
ist der Geschäftssinn voll angekommen, obwohl sich Touristen
eher selten
hierher begeben. 50 USD sollen wir berappen, wenn wir durch das Dorf
laufen
wollen. Das ist uns eigentlich ein wenig zu fett und wir
überlegen, ob es uns
das wirklich wert ist. Unsere Überraschung und
Enttäuschung scheint uns im
Gesicht geschrieben zu stehen. „Wollt ihr nicht?“,
werden wir gefragt und
gleich kommt die ergänzende Nachfrage: „Ist das zu
teuer?“ Wir bestätigen die
Frage und stehen noch ein wenig unschlüssig herum, bis dann
der Rat von sich
aus den Preis auf 10 USD pro Person senkt, bevor die ganz ohne Geld nur
noch
unsere Rücklichter sehen. 30 USD klingt schon besser als 50
und so willigen wir
ein. Wir bekommen einen örtlichen Guide zugewiesen, der uns zu
bestimmten
Punkten der Siedlung bringen soll, die für Besucher
freigegeben sind.
Bild 1 - 3: Friedensvertrag der Maroons
vom 6. Januar 1738
Bild 2 + 3: Vergrößerte
Auszüge aus Bild 1 zum Nachlesen
Bevor unsere Tour
beginnt, können wir einen Blick auf den Friedensvertrag vom 6.
Januar 1738
werfen, der mit seinen 15 Punkte umfassenden Regelwerk an der Hauswand
des
Museums angebracht ist. Ausgehandelt und unterschrieben wurde der
Vertrag
damals von Captain Cudjoe und Colonel Guthrie. Unweit vom Museum steht
ein
Heldendenkmal zu Ehren der Leistungen von Cudjoe. Dahinter befindet
sich der
wichtigste von einem der drei „Seal Grounds“. Die
„Seal Grounds“ sind heilige
Böden, auf denen die Maroons ihre „Revival
Meetings“ abgehalten haben – eine
Art Religion, die die Sklaven von Afrika mitgebracht haben. Dort wurden
Heilpraktiken ausgeübt, Schutz vor bösen Geistern
empfangen oder auch Kraft
gegen eventuelle Angriffe der Briten geschöpft.
Bild 1 - 4: Accompong
Bild 1: Heldendenkmal zu Ehren der
Leistungen von Cudjoe
Bild 2: Detail der Tafel von Bild 1
Bild 3: Erklärungstafel zu
den "Seal Grounds"
Bild 4: Kunstvoll bemaltes Haus und
öffentliche Bekanntmachungstafel von Accompong
An allen
geschichtsträchtigen Plätzen sind Holztafeln mit
entsprechenden Erläuterungen
angebracht. Das ist gut so, da man sich kaum alles merken kann. Weiter
geht es
in den Ort hinauf in Richtung der „Presbyterian
Church“, die seit 1965 mit der
„Congregational Union“ die „United Church
Of Jamaica And The Cayman Islands“
gründete (Ist aber nicht die einzige Kirche von Accompong).
Daneben befindet
sich der neue Friedhof. Einige der Gräber sind mit
Eisenzäunen eingefasst.
„Haben diese Gitter eine bestimmte religiöse
Bedeutung?“, will ich von unserem
Guide wissen. „Nein. Das ist nur ein praktischer Grund, wegen
der Ziegen, die
hier frei herumlaufen und die Gräber beschmutzen.“,
bekomme ich zur Antwort.
Zwischen den meist weiß gehaltenen Grabplatten entdecken wir
auch ein auffällig
farbenfreudiges Rasta-Grabmal. Eine Inschrift können wir aber
nicht entdecken.
Bild 1: Erklärungstafel an
der Presbyterian
Church
Bild 2 - 4: Friedhof
Bild 3: Bemaltes Grab eines Rastas
Unsere
Wanderung
geht weiter, vorbei am Supermarkt von Accompong, von dessen farbigen
Wänden Bob
Marley und die Nationalhelden Nanny und Samuel Sharpe
grüßen. Nicht weit davon,
auf dem Weg zur örtlichen Schule, grüßen
von einer langen Mauer noch einmal
alle Nationalhelden der Insel zusammen. Bilder wie diese sind in
Jamaica keine
Seltenheit. Neben der „Accompong Primary And Junior High
School“, die 1968 als
„All Age School“ errichtet worden ist, befindet
sich der ehemalige „Parade
Ground“ der Maroons. Ursprünglich diente dieser
Platz als Trainingsort für die
Maroon-Krieger. Jetzt ist er nur noch ein Spielplatz und hat seine
Bedeutung
eingebüßt.
Bild 1 + 2: Schön bemaltes
Einkaufsgebäude von Accompong
Bild 3: Mauer mit Nationalhelden bei
der „Accompong Primary And
Junior High
School“
Bild 4: Haus am "Parade Ground" mit
Erklärungstafel
Bild 5: Detail zu Bild 4 zum Nachlesen
Jetzt geht es in die
Natur mit weitem Blick in die Berge und hinunter zur Küste.
Wir kommen an einen
Ort der mit dem Namen
„Kindah“
ausgeschildert ist. „Kindah“ ist ein afrikanisches
Wort und bedeutet „One
Family“. Hier schmiedete Captain Cudjoe seine
Kriegspläne gegen die Briten.
Jedes Jahr am 6. Januar wird nun hier der Friedensvertrag von 1738 mit
Trommeln, Tanz und einem reichlichen Festmahl gefeiert. In der
Nähe befindet
sich auch ein Baum mit der Aufschrift „Kindah – One
Family“. Dieser „Kinda One
Family Tree“ ist ein Cotton
Tree,
der früher „Cudjoe´ Tree“
genannt wurde.
Hier sollen am 6.
Januar 1738 Captain Cudjoe und Colonel Guthrie den Maroon-Vertrag
unterzeichnet
haben.
Bild 1: Schöne
blühende Natur
Bild 2: Der berühmte
„Kinda One
Family Tree“
Bild 3: Erklärungstafel zum
Begriff "Kindah"
Aus der Ferne rollen
mächtige Donner heran und Blitze zucken durch den Himmel. Eine
nahezu
gespenstische Atmosphäre herrscht jetzt hier oben.
Außer ein paar Grillen und
dem herannahenden Gewitter hört man jetzt gar nichts mehr.
Unser Ausflug ist
aber noch nicht beendet.
Ein Stück
bergabwärts ist auch noch das Gelände des ehemaligen
Kräutergartens der Maroons
zu finden. Unser Guide erklärt einige Nutz- und Heilpflanzen
die noch immer
hier wild wachsen. Eine gezielte Bewirtschaftung ist aber nicht mehr
auszumachen. Eine Pflanze weckt Brians besonderes Interesse. Sie muss
unbedingt
mit und soll künftig bei ihm zu Hause wachsen. Zum Schluss
gehen wir auch noch
über die „Maroon Burial Grounds“, wo
außer Wildwuchs aber nichts mehr aus den
alten Zeiten zu erkennen ist.
Außer der
Holztafel,
die auf diesen Platz hinweist, ist aber nichts Auffälliges zu
entdecken.
Mit dem
heraufziehenden Gewitter im Nacken machen wir uns wieder auf in
Richtung
Museum.
Bild 1 - 6: Accompong
Wir kommen keine
Minute zu zeitig dort an. Mit voller Kraft bricht das Unwetter
über uns herein.
Der Regen trommelt laut auf das Wellblechdach und lässt bei
uns wohlige Schauer
über den Rücken fahren. Wir sind im Trockenen und
schauen entspannt gemeinsam
mit den Dorfältesten in das ungemütliche Wetter
hinaus. Hoffentlich lässt das
noch etwas nach, wenn wir uns auf die Rückfahrt begeben.
Bild 1 - 4: Dorfgemeinschaftshaus mit
Museum
Bild 1 + 2: Öffentlicher
Fernsehsaal und Versammlungsraum
Bild 3 + 4: Museum
Jetzt können
wir uns
aber erst noch in aller Ruhe das Innere des Gebäudes ansehen.
Das Museum nimmt
den kleineren Teil des Objektes ein und ist durch eine innere
Seitentür zu
erreichen. Der Hauptteil besteht aus einem großen Raum oder
Saal, dessen Wände
mit umfangreichen Malereien versehen sind. Die Nanny darf hier
natürlich auch
nicht fehlen. Hoch oben ist auch noch ein großer Fernseher an
der Wand
angebracht, der hinter Gittern auf seine nächste
Gemeinschaftsvorführung
wartet. Im Museum befinden sich viele Fotos und Texte zur Geschichte
der
Sklaverei, einiges zu Südafrika und Nelson Mandela, sowie
einige
Gebrauchsgegenstände. Die Musik auf dem Wellblechdach
hält noch immer
unvermindert an. Nachdem wir alles ausreichend erkundet haben warten
wir noch
ein Weilchen auf Wetterbesserung. (Noch mehr Informationen zu Accompong
und den
Maroons gibt es z. B. hier.
Brian holt aber
schließlich das Auto und möchte lieber schon langsam
aus den Bergen
hinausfahren. Von überall her schießen
Sturzbäche die Hänge hinunter und spülen
die holprige Straße noch weiter aus. Durch die Scheiben ist
nicht viel zu
sehen. Einerseits regnet es immer noch wie verrückt und
andererseits geizt
Brian mit der Klimaanlage, so dass die Scheiben von innen auch noch
völlig
angelaufen sind. Also immer wieder Scheibe runterkurbeln und nach der
nächsten
Kurve die Seite wechseln, damit nicht der Regen die Sitze einweicht.
Langsam aber
sicher kommen wir aus den Bergen heraus, und als wir wieder Maggotty
erreichen
hört der Regen nahezu auf. Wir fahren von dort in Richtung
Lacovia Tombstone
und dann über West Lacovia in Richtung Middle Quarters.
Dazwischen liegt die
Bamboo Avenue. Wie der Name schon vermuten lässt, stehen hier
Bambuspflanzen.
Der Bambus wurde früher von den Sklaven zu beiden Seiten
dieses ungefähr 4
Kilometer langen Straßenabschnitts gepflanzt und sollte in
den Pausen während
der Feldarbeit etwas Erholung im Schatten bieten. Diese teilweise bis
zu 20
Meter hohen, zu den Gräsern gehörenden Pflanzen,
bilden einen dichten Tunnel,
der stellenweise nur wenig Sonne hindurch lässt, wenn sie denn
scheinen würde.
Bild 1 - 4: Bamboo Avenue
Von den diversen
Händlern, die sonst an vielen Stellen dieser Straße
stehen, sehen wir heute auf
Grund des schlechtern Wetters, natürlich keinen einzigen. So
müssen wir uns
nicht sehr lange hier aufhalten und schießen nur schnell ein
paar
Erinnerungsfotos.
Es geht weiter in
Richtung Black River und von dort, anders als heute Morgen, nun die
Küstenstraße über Parottee Beach
zurück in Richtung Billy Bay. Die Straße ist
nicht so gut aber interessanter, als die weiter landeinwärts
liegende Route. Im
letzten Drittel der Strecke fährt dann Brian von der
Straße ab und rollt auf
einen endlos langen ebenen und menschenleeren Sandstrand. Ein echter
Geheimtipp
und garantiert touristenfrei. Zumindest bis jetzt. Dieser
Küstenabschnitt wird
Fort Charles Bay genannt und lädt uns ein zu einem entspannten
Spaziergang.
Vielleicht sollte man solche Dinge besser gar nicht erst
erwähnen, um sie
besser vor uns Menschen zu schützen. Aber naja, hierher kommen
sowieso nur
Individualreisende wie wir, und die sind zum Glück in der
Minderheit.
Bild 1 - 7: Fort Charles Bay
Bild 2: Sandgebilde am Strand
Bild 1, 3, 6 + 7: Blick in
Süd-Ost-Richtung
Bild 4 + 5: Blick in Nord-Westrichtung
Jetzt sind es nur
noch maximal 5 Kilometer bis zu unserem Guesthouse. Man könnte
diesen Strand
also künftig auch als Fahrradausflug einplanen. Sehr zufrieden
mit unseren
Tagesverlauf treffen wir wieder im Irierest ein. Lange halte ich mich
aber hier
nicht auf und ziehe wieder los. Immerhin hatte ich Herman versprochen
nach
unserer heutigen Tour noch einmal vorbei zu kommen. Als ich Mutas
„Himmelstreppe“ und den angrenzenden Zaun
überwunden habe, kommen auch schon
wieder die Hunde neugierig zur Begrüßung angerast.
Gabi ist allein und erzählt,
dass Herman wiederholt im Busch nach ein paar Ziegen sucht. Seit Tagen
sind die
schon verschwunden, aber Herman gibt nicht auf. Gabi vermutet, dass die
schon
längst irgendwo verkauft oder im Kochtopf gelandet sind.
„Die haben sich ganz
sicher nicht verlaufen!“, meint Gabi bestimmt. Es beginnt
schon langsam zu
dämmern als Herman zurückkommt. Wortlos und etwas
betrübt, schüttelt er an Gabi
gerichtet mit dem Kopf. Er hat die Ziegen wieder nicht finden
können. Aber nun
lassen wir die Ziegen Ziegen sein und unterhalten uns über
andere Dinge. Gabi
fragt forschend: „Und wie hat es euch in Accompong
gefallen?“ „Eigentlich habe
ich mir das alles ursprünglicher und traditioneller
vorgestellt. Viel
Unterschied merkt man ja kaum zu anderen Bergdörfern, mal
abgesehen von den
geschichtlichen Hintergründen und den traditionellen
Plätzen.“, sage ich. „Das
habe ich mir gedacht, dass du das sagen wirst.“, meint Gabi
wenig überrascht.
„Ihr habt nicht das richtige Accompong gesehen bzw. nicht
alles. Ihr habt nur
das gesehen, was ihr sehen dürft.“,
eröffnet sie mir. „Vielleicht lässt sich
etwas einrichten, wenn ihr wieder einmal hierher kommen solltet. Hoch
interessant ist auch ein jährliches Festival, welches dort
abgehalten wird. Man
braucht schon einen Verwandten dort oben oder einen bekannten
Maroon, wenn man das traditionelle Accompong richtig erleben
will.“, erzählt sie.
Bevor es richtig
dunkel wird machen wir mit Herman noch ein paar schöne Fotos.
Er packt seine
Dreads aus und zeigt seinen langen Bart, der sein ganzer Stolz und
größtes
Heiligtum ist und sonst unter seinem Turnhemd verborgen ist. Man glaubt
es
kaum, was da zum Vorschein kommt, wenn man es nicht weiß. Er
erlaubt sogar,
dass ich ihn berühre und näher in Augenschein nehme.
Gabi macht große Augen und
ist völlig überrascht. „Das ist ja was ganz
Besonderes und völlig neu, dass
darf sonst überhaupt niemand!“, sagt sie fast
angstvoll. Ich hatte mir auch gar
nichts dabei gedacht und Herman schmunzelt nur. Wir haben offenbar
einen guten
Draht zueinander gefunden.
Bild 1 + 2: Herman
Als es schließlich
finster ist, bringt mich Herman zurück zum Guesthouse, damit
ich nicht allein
durch die Finsternis stolpern muss. Wasser holen muss er auch noch und
nimmt dafür
zwei Plastekanister mit auf den Weg. Bei ihm oben auf dem Felsen gibt
es leider
noch keine Wasserleitung. Deshalb muss er immer hinunter in den Ort
gehen, wenn
frisches Wasser gebraucht wird.
Das wird unsere
letzte Nacht im Irierest. Morgen früh geht es mit ein paar
interessanten Zwischenstationen
weiter in Richtung Negril und Brian wird wieder unser Fahrer sein.
Copyright:
Text und Fotos by Reggaestory
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