Das 26. Summerjam ist Geschichte. Zum zweiten Mal in Folge war das
Festival mit 28.000 Besuchern ausverkauft. Ein
zurückgehaltenes Kontingent von Tickets für die
Tageskassen, war dann am Samstagnachmittag auch schon vergriffen. Und
dies, obwohl die Wettervorhersagen nicht gerade Mut machten. Nach einer
längeren Trockenperiode und großer Hitze, die
Wasserstände in Seen und Flüssen zum Schrumpfen
gebracht hatten, war ein Temperatursturz mit unwetterartigen
Wetterkapriolen vorausgesagt. Heftige Unwetter mit stundenlangem Regen,
führten in Bayern und Teilen Niedersachsens, zu
überfluteten Straßen und vollgelaufenen Kellern.
Polizei und Feuerwehr standen unter Stress und mussten allein in
München mehr als 170 Mal und bei Schaumburg / Hannover
über 200 Einsätze fahren. Für Köln
und das Summerjam ging die Sache glimpflich ab. Das Zwischenhoch
„Hildegard“ kam rechtzeitig zum Festivalstart in
der Cologne Bay an und sorgte dort früher als anderenorts in
Deutschland für eine Wetterberuhigung und teilweise sonnigen
Augenblicken. Abgesehen von ein paar kurzen Schauern war es
während der Bühnenprogramme überwiegend
trocken.
Nachfolgend nun ein paar detaillierte Festivalerinnerungen, die ich
schon zwei Tage vor dem offiziellen Start des Festivals beginne. Um
keinen der Leser zu langweilen, da es ja unterschiedliche Fangemeinden
gibt, hier ein kurzer Überblick zum Verlauf der Story und der
Fotogalerie, die teilweise gesondert aufzusuchen ist.
29.06.+30.07.2011
– Mittwoch und Donnerstag
Vor dem Festival
01.07.2011
– Freitag
Sara Lugo, Iriepathie, Andrew Tosh, Duane Stephenson, Tarrus Riley,
Busy Signal, Barrington Levy
02.07.2011
– Sonnabend
iLLBILLY HiTEC, Che Sudaka, Circus Changhigh, I Fire, Leroy
„Horsemouth“ Wallace, Mono & Nikitaman,
Andrew Murphy und Roughhouse, Anthony B, Alpha Blondy, Jimmy Cliff
03.07.2011
– Sonntag
Mellow & Pyro, Who Dat!?, The Busters, The Congos, Max Romeo,
Lee „Scratch“ Perry, Ziggy Marley, Youssou
N´Dour, Joy Denalane
04.07.2011
– Montag
Abreise
Mittwoch
– 29.06.2011
Den schlechten Wetterprognosen zum Trotz, machen wir uns bei klaren
Himmel und 27°C am frühen Vormittag auf dem Weg. Nach
den Vorhersagen des Vorabends wird uns die Unwetterfont gegen Mittag im
Raum Hessen begegnen. Aber keine Spur davon und absolute Windstille.
Erst ungefähr eine reichliche Stunde vor unserer Ankunftszeit
beginnt sich der Himmel zu verfinstern und etwas Wind kommt auf. Die
Temperaturanzeige im Auto hält tatsächlich was der
Wetterbericht des Vortages versprochen hat. Alle paar Fahrminuten sinkt
die Temperatur um ein weiteres Grad. Innerhalb weniger Kilometer
schafft es die Anzeige nur noch auf 13°C. Es stürmt
und regnet. Den Wind lassen wir bald hinter uns aber Regen und Frische
bleiben uns bis Köln erhalten. Zum Glück folgt kein
Unwetter.
Die Zufahrt zum P2 gestaltet sich wieder schwierig. Alle Jahre wieder.
Trotz vorliegender Durchfahrtsgenehmigung hat der Sicherheitsdienst
kein Instrument vom Veranstalter in die Hände bekommen, deren
Korrektheit mit einfachen Mitteln schnell zu
überprüfen. Ohne PKW-Kennzeichnung (Aufkleber), die
es eigentlich noch gar nicht geben dürfte, ist in der Regel
kein Durchkommen. Nach Angaben des Veranstalters werden diese
nämlich erst ab Donnerstagabend ausgegeben und
grundsätzlich nicht vorher verschickt. Umso erstaunter ist man
aber dann, wenn man doch Fahrzeuge mit Aufklebern auf dem P2 sieht, und
noch dazu von Inhabern wie „Campingreisender“,
„0815 …“ oder sogar völlig ohne
Angaben. Sehr auffällig viele Gefälligkeitsaufkleber.
Auf dem VIP / Presseparkplatz findet man die wenigsten Fahrzeuge, die
tatsächlich irgendeinen Bezug zum Summerjam haben oder eine
Berichterstattung zum Festival erwarten lassen. Aber auch diese Kritik
wird wie jedes Jahr ohne Folgen im Nirgendwo verhallen, genau wie die
des Sicherheitsdienstes an den Schranken, endlich mal eine
Akkreditierungsliste vom Veranstalter in die Hände zu
bekommen. Es könnten so viele Dinge einfacher sein und das
Quiz der Kontrolleure an den Schranken müsste nicht jedes Jahr
neu erdacht werden. Das kostet allen Beteiligten völlig
unnötige Nerven.
Wie jedes Jahr ist der Zeltplatz erst ab Donnerstag im Eintrittspreis
enthalten, aber schon am Mittwoch leider zu zirka 98% besetzt. Dies
zumindest besonders in der Nähe vom P2, der Seen 5, 6 und weit
bis hinter der Inselzufahrt um den See 7 herum. Unter diesen
Umständen schaukelt sich die Ankunftszeit der ersten Camper
immer weiter ins Vorfeld des Festivals. Nach Aussagen einiger Camper
sind die am günstigsten gelegenen Plätze bereits seit
Montag in festen Händen. Die alljährliche
Ankündigung des Veranstalters „Camping ist nur mit
gültigem Festivalticket erlaubt“, ist wiederum
völlig außer Kontrolle geraten.
Diesbezüglich hat man sich leider noch nichts einfallen
lassen. Neben dem Summerjam hat sich bereits ein
„Camperfestival“ am Rande entwickelt, für
dessen Besucher die Festivalinsel nur als Backgroundmusik eine Rolle
spielt – wenn überhaupt. Uns bleibt also nichts
weiter übrig, als unser Zelt neben dem Auto aufzuschlagen, was
in vergangenen Jahren bei vorliegender P2-Genehmigung auch toleriert
worden ist. Während ich im Regen mit meinen offenbar
ungeeigneten Heringen gegen die vergossenen Pflasterfugen
kämpfe, machen sich die ersten illegalen Camper schon wieder
im anschließenden Waldbereich breit. Die
dazugehörenden Autos stehen ohne Aufkleber oder sonstiger
Genehmigung hinter der Frontscheibe auf dem P2. Wie geht das nur? Die
Fugen sind hartnäckig, und der Regen setzt immer noch
unangenehm zu. Ich will schon aufgeben und ebenfalls in den verbotenen
Wald umsetzen, als die ersten Zelte wieder aus dem Wald herausgetragen
werden und sich eine andere Bleibe suchen müssen. Es herrscht
striktes Verbot im Wald zu zelten. Ich suche mir also ein paar
Baumstämme, die als Ersatz für meine müden
Heringe herhalten müssen. Sieht alles reichlich improvisiert
aus, aber es hält wie Ast. Unser Zelt trägt so leicht
kein Sturm davon! Für das nächste Jahr muss ich mir
aber etwas anderes ausdenken. Es gibt keine Garantie, dass sich 2012
auch noch genügend „Ballastholz“ findet.
Donnerstag
– 30.06.2011
Viel Zeit für Erkundungen im ausgedehnten Gelände
rund um den Fühlinger See.
Auf dem P2 ist noch das große Partyzelt aufzubauen, in dem am
heutigen Abend ab 20:00 Uhr die „Welcome-Party“
stattfinden soll. Es ist noch allerhand zu tun. Der gestrige Regen hat
zu etwas Zeitverzug geführt. Dafür sind die ersten
Verpflegungsstände aber schon geöffnet.
Der Freibadbereich wurde dieses Jahr völlig fürs
Campen gesperrt. Man ist gerade dabei, im Gelände einen
Hochseilgarten zu errichten. Das Schwimmbad und die sanitären
Einrichtungen sind aber nach wie vor geöffnet. Hinter dem
Freibad (aus Richtung P2 gesehen, zwischen See 4 und See 5), wurde ein
abgesperrtes Camping Areal eingerichtet. Darin gibt es wiederum zwei
verschiedene Bereiche, ein „Family Camp“ und ein
„Reservation Camp“. Dort werden allerdings 15,00
EUR/Person für den Zeitraum Donnerstag-Montag fällig.
Wer schon Mittwoch sein Lager aufschlagen will zahlt 25,00 EUR. Auch
der Platz ist mit 3 m²/Person reglementiert. Das Ergebnis:
Alles sieht noch schön übersichtlich und gepflegt
aus. Bis jetzt ist das hier eine kleine Oase im allgemeinen
Campingtrubel. Je nach Auslastung wird man in den nächsten
Tagen entscheiden, ob man auch noch Camper ohne Vorbestellung auf das
Gelände lässt. Das gibt natürlich Anlass
für Bedenken. Hoffentlich werden das nicht zu Viele sein. Am
Ende sind die Leute die reserviert und viel Geld bezahlt haben, auch
nicht besser gestellt, als jene im übrigen Gelände.
Bild 1 + 3: An der Regattabahn Bild 2: Red Stage im Bau Bild 4: Imbiss P2 Bild 5:
Eingang „Family Camp“
und „Reservation Camp“
Während die zeitig Angekommenen schon die ersten
Sonnenstrahlen genießen und die ersten Partys
schmeißen können, haben die Bühnenmonteure
auf der Insel noch mächtigen Stress.
Bild 1: Red Stage
Bild 2: Green Stage
Auch dort hat der Regen
offenbar zu Verzögerungen geführt. Eigentlich seit
vielen Jahren das erste Mal, dass wir noch die Montagearbeiten sehen
können. Noch am späten Abend wird dort bei
Scheinwerferlicht gewerkelt.
Nach 19:00 Uhr geht es dann noch einmal zum Pressecontainer, um nun
wirklich unseren Aufkleber und die Eintrittsbändchen zu holen.
Alle Guests und akkreditierten Presseleute sind zu einer Spende von
5,00 EUR für den gemeinnützigen Verein HELP Jamaicae.V.!
aufgerufen.
Somit wird über jeden Gästelistenplatz einen kleiner
Beitrag für öffentliche Bibliotheksprojekte in
Jamaika beigesteuert. Wer darüber hinaus den Verein
unterstützen möchte, sollte Kontakt über
deren Website aufnehmen.
Am Abend dann die große Welcome-Party im
„Rootcenter“ auf dem P2. Wie erwartet wieder eine
tolle Sache – Platz für Alle, ordentliches
Zeltklima, sauberes Umfeld und natürlich Reggae auf die Ohren
bis zum Abwinken.
Bild 1: Roots Center auf dem P2 Bild 2 - 5: Welcome-Party im Roots
Center
Wer mit offenen Augen an der Party teilnimmt, kann
sogar schon den einen oder anderen bekannten Artist entdecken. Auch
Andrew Tosh ist schon im Gelände und interessiert sich
für das große Treiben im Partyzelt.
Freitag
– 01.07.2011
Wir haben kaum unser Frühstück beendet und wollen zum
morgendlichen Erkundungsspaziergang aufbrechen, da nimmt der Tag eine
unangenehme Wendung. Der Sicherheitsdienst ist auf dem für
Presse und VIP reservierten P2 Bereich unterwegs und will
„Klar Schiff machen“. Einerseits richtig und
notwendig, da illegale Camper und Parker langsam überhand
nehmen, der angrenzende Wald schon wieder aufgerüstet ist und
den Ausrüstungstransporteuren (die sich immer wieder am Auto
vorbei in den Wald quetschen) schon unser Außenspiegel zum
Opfer gefallen ist. Aber andererseits ist das Vorgehen des
Sicherheitsdienstes etwas unklar. In erster Linie wird nur gegen die
Zelte auf dem Parkplatz vorgegangen. Es interessiert nicht, wer
tatsächlich eine Akkreditierung hat und wer nicht. Autos ohne
Aufkleber oder sonstiger Genehmigung werden gar nicht erst angesehen.
Es erwischt in erster Linie den berechtigten Personenkreis. Zum
Beispiel HoRo und ELJER, die unter Anderem für Reggaeville arbeiten,
müssen ihr Zelt neben dem Auto abbauen. Sie sollen in den Wald
gehen. Was ist das denn jetzt!? Auch die Leute vom Reggaebus,
seit vielen Jahren offizielle Partner des Summerjam, sollen vertrieben
werden. Auch dort schimpft man: „Jedes Jahr das gleiche
Theater!“ Während an einigen Stellen vom
Sicherheitsdienst „liebevoll“ einige Zelte
„zusammengefaltet“ und ins Gestrüpp
geschoben werden, sitzt ein Mann vom Reggaebus mit amtlich grimmiger
Miene als Wachposten vor der eigens errichteten Reggaebus-Absperrung.
Man hofft noch auf Aufklärung. Der Sicherheitsdienst soll sich
lieber um die wirklich illegalen Camper und Parker kümmern.
Ohne Probleme könnte man hier 30-50% der Fahrzeuge mit
dazugehörenden Zelten (teilweise im angrenzenden Wald),
beräumen oder abschleppen lassen, die noch keinen Aufkleber
oder eine andere Genehmigung nachweisen können. Es gibt sogar
Wohnmobile (ohne Aufkleber), die vorsorglich das Nummernschild entfernt
haben und quer gestellt mit Anbauzelt gleich 5 Stellplätze
vereinnahmen. Irgendwie macht das keinen Spaß mehr, wenn man
alle Genehmigungen hat und letztendlich doch nur Stress und
Ärger hat, oder ständig mit unkalkulierbaren
Problemen rechnen muss. Wir kennen sicherheitshalber erst einmal unser
Zelt nicht mehr und warten in der Ferne auf Aufklärung. Es
dürfte schwer fallen unser tornadosicheres Domizil abzubauen
und einzulagern. Für einen langwierigen Umzug ins Ungewisse
fehlt uns jetzt sowieso die Zeit. Die Eröffnung des Festivals
steht unmittelbar bevor.
Wegen dieser ganzen Aufregung vergessen wir glatt unseren
Mittagsimbiss, schnappen nur schnell unsere Ausrüstung und
machen uns zur Festivalinsel auf. Hoffen wir, dass noch alles im Lot
ist, wenn wir wiederkommen. Der halbe Tagesplan ist im Eimer, nur wegen
diesem unnötigen Ärger.
Kurz vor der offiziellen Eröffnung der Insel, die ab 14:00 Uhr
sein soll, machen wir einen kleinen Rundgang übers
Gelände. Einige Basarstände sind noch emsig beim
Auspacken, die meisten sind aber schon für den Ansturm
gerüstet und warten entspannt auf die ersten Kunden. Die
Bühnen sind fertig gestellt. Einige Materialpaletten werden
noch abgefahren, die letzten Sicherheitszäune errichtet und
ein paar Bäume beschnitten, die am Bühnenrand
stören. Sara Lugo macht schon einmal den Soundcheck und
Ganjaman betrachtet aus der Ferne die Green Stage, die für die
nächsten drei Tage, für ihn als Moderator die Heimat
sein wird.
Dann ertönt ein lautstarkes, schwer definierbares, Signal aus
den Lautsprechern – die Insel ist jetzt offenbar
eröffnet. Langsam füllt sich das Gelände,
und die Gabelstapler müssen sich sputen, damit sie ihre
letzten Transporte ungehindert erledigen können.
Die 23-jährige Sara
Lugo ist die erste Künstlerin des
diesjährigen Summerjam. Die puertoricanisch-deutsche
Sängerin aus München, mischt Reggae und Soul, ab und
zu auch gewürzt mit etwas Jazz und HipHop. Im Jahr 2009 hat
sie ihre erste EP „Sara Lugo“ herausgebracht, und
in diesem Jahr folgte am 06. Mai ihr Debutalbum „What About
Love“, welches vom Münchener Dub- und
Reggaespezialist Umberto
Echo produziert worden ist.
Nach dem Auftritt von Sara Lugo rückt Ganjaman mit einer
„guten und einer schlechten Nachricht“ heraus. Die
schlechte Nachricht: John Holt wird nicht auftreten. Man habe bis zum
Schluss mit dieser Info gewartet, in der Hoffnung, dass es doch noch
mit seinem Visum klappt. Es lag einzig und allein an
Versäumnissen von John Holt oder dessen Management. Das Visum
wurde einfach nur zu spät beantragt. Weiterhin ist die Backing
Band von Andrew Tosh irgendwo zwischen Paris und Köln im Stau
stecken geblieben. Also wird auch Andrew Tosh nicht wie geplant
auftreten können. Die gute Nachricht: Andrew Tosh ist auf dem
Gelände (was wir schon wissen) und man will versuchen, ihn
irgendwo anders mit unter zu bringen. Weiterhin bliebe dadurch etwas
mehr Zeit für die anderen Artists.
Nächster Act auf der Green Stage, der dies gleich ausnutzen
kann, ist die österreichische Band Iriepathie.
Die Band wurde im Jahr 2000 gegründet, hat somit
kürzlich ihr 10-jähriges Jubiläum gefeiert
und zählt in Österreich zu den bekanntesten Reggae
Acts. Nebenbei betreiben sie auch noch das Label Irievibrations-Records,
bei dem auch Lucianos 2011-er Album „RUB-A-DUB
MARKET“ und in den zurückliegenden Jahren Alben von
Perfect, Mark Wonder und Anderen erschienen sind. Alles sehr gute
Arbeiten, aber Iriepathies eigene Live Präsenz trifft nicht so
ganz meinen Nerv. Die Brüder Syrix und Professa, die hinter
Iriepathie stehen, scheinen nicht so ganz begeistert zu sein von ihrer
zusätzlich zur Verfügung bekommenen Spielzeit. Syrix
schaut immer wieder ausgepowert zu Ganjaman und hofft der Mimik nach
auf ein Schlusszeichen, aber sie „dürfen“
immer noch weiter machen. Auch Ganjaman selbst springt mit
„Nur einmal“ zur Auflockerung ein. Seine
Unterstützung beschränkt sich passender Weise leider
auch auf nur einmal. Die nachfolgenden Acts stehen offenbar noch nicht
zur Verfügung und Iriepathie ist weiterhin gefordert.
Sehr gerne würden wir ja einmal nach Ziggi Recado auf der Red
Stage sehen, aber dann ist unser günstiger Platz hier
Geschichte. Tarrus Riley möchten wir auf keinen Fall aus der
hintersten Reihe ansehen.
Dann endlich ist es soweit und die Black Soil Band beginnt ihre
Bühneneinrichtung. Dean Fraser, der Star am Saxophone, darf
natürlich nicht fehlen wenn es um seine Schützlinge
Tarrus Riley und Duane Stephenson geht. An der musikalischen
Entwicklung beider Künstler hat Dean Fraser
maßgeblichen Anteil. Dean ist eine beeindruckende
Persönlichkeit für sich, wird von vielen Fans
euphorisch begrüßt und könnte ganz sicher
eine eigene Bühnenshow durchführen. Völlig
überraschend wird nun Andrew Tosh
angekündigt, bei dem bisher noch gar nicht sicher war, wo man
ihn unterbringen können wird. Aber wo sollte er sonst hin,
passt hier schon am besten. Busy Signal oder Ce´cile
wären sicher nicht die richtige Möglichkeit. Leider
kann der Sohn von Reggae Legende Peter Tosh nur drei Stücke
performen. Wir sind aber froh, dass sich überhaupt noch diese
Gelegenheit eröffnet. Schon 5 Jahre liegt es zurück,
als wir Andrew das letzte Mal hier beim Summerjam gesehen haben.
Inzwischen hat er eine graue Strähne im Bart bekommen. Damals
ist er noch, nach Vaters Manier, mit dem Einrad auf die Bühne
gefahren. Heute ist diese Einlage nicht dabei. Immer wieder
verblüffend wenn Andrew die alten Hits seines Vaters singt
– schön das Peters Stimme in Andrew weiter lebt.
Viel zu schnell sind die wenigen Minuten verflossen, aber man kann den
nachfolgenden Künstlern, die die gleiche Backing Band haben,
nicht verdenken, wenn sie von ihrer Auftrittszeit nichts weiter abgeben
möchten.
Zum Trost muss ich mir unbedingt demnächst wieder einmal sein
Album „Andrew sings Tosh – He never
died!“, lautstark zu Gemüte führen.
Nächster Act ist Duane
Stephenson, der erst seit 2008 mit seiner Debut-Single
„August Town“ so richtig bekannt geworden ist. Aber
was sollte schon schiefgehen bei einem Klassiker wie „Jah
Live“ von Bob Marley, der hier mit anderem Text neu vertont
worden ist. Das Album „From August Town“ folgte im
selben Jahr und enthielt noch weitere Hits wie „Cottage In
Negril“ oder „Ghetto Pain“. Voriges Jahr
kam nun mit „Black Gold“ sein zweites Album heraus,
welches der Tradition seines Vorgängers folgt. Ein
Schwergewicht wie „August Town“ ist aber nicht
dabei. So etwas gelingt eben nicht alle Tage.
Dann folgt Tarrus
Riley mit dem Hauptteil der Show, der auch meines Erachtens
den Höhepunkt des Tages darstellt. Schon im Jahr 2004 brachte
Tarrus sein Debutalbum „Challenges“ heraus. 2006
folgte „Parables“ und im Jahr 2009 das hoch gelobte
Album „Contagious“. Hits wie
„She´s Royal“, „Living The Life
Of A Gun“, „Love´s Cantagious“
oder auch „Stop Watch“, sind die
größten Renner seines bisherigen Schaffens, die
jeden Reggae Fan vom Hocker reißen.
Tarrus tritt heute mit einer Jacke im Military Look, dunkler
Sonnenbrille, grüner Basecap und einem großen
schwarzen Kettenanhänger mit den Umrissen von Afrika auf. Die
Massive ist völlig aus dem Häuschen und
benötigt bei Tarrus keine Aufwärmphase. Der
größte Knaller seiner Show ist nach wie vor
„Love´s Cantagious“, der auf dem Marley
Klassiker „Coming In From The Cold“ beruht. Man
muss es immer wieder aufzeigen, ist schon bemerkenswert, dass viele der
größten neuen Hits oft auf Bob Marleys Schaffen
zurückzuführen sind. Dann gibt es auf einmal etwas
Ablenkung im Fotograben und einige Fans jubeln jemand anderem zu.
Läuft doch da mit rotem Zylinder Leroy
„Horsemouth“ Wallace. Jeder kennt
Horsemouth aus dem Kultfilm „Rockers“. Ob das wohl
derselbe rote Hut ist? Neben ihm ist Abdou Day,
ein Reggae Sänger aus Madagaskar, der heute in Frankreich
lebt. Mit seiner typischen Form des Kopfschmucks ist er unverkennbar.
Bevor die Ablenkung anhält sind die Beiden aber wieder
verschwunden.
Tarrus und Dean sind Stars des Tages. Auch wenn Ganjaman in der Pause
danach sagt: „Wir nähern uns jetzt dem
Höhepunkt des Tages – meiner war gerade
…“, kann ich mich nur mit dem zweiten Teil seiner
Ansage anfreunden. Dann entrollen er und Nadia von Sentinel,
ein großes Banner um für die Unterstützung
von HELP Jamaica zu werben. Also dann schreibt fleißig viele
SMS! Bei dieser Gelegenheit wird Nadia nun auch einmal vorgestellt.
Schon seit Jahren haben wir sie bei der Bühnentechnik arbeiten
gesehen und eine Doppelgängerin von Sentinels Nadia vermutet,
die nun endlich einmal vorgestellt wird und somit alle Zweifel aus dem
Weg geräumt werden.
Der nächste Act auf der Green Stage soll Busy Signal sein.
Seiner Show müssen wir nicht in voller Länge in der
ersten Reihe beiwohnen. Da genügen uns die ersten drei Titel
im Fotograben. Also erst einmal raus aus dem Gedränge und
etwas Entspannung tanken.
Wir haben dabei sogar noch etwas Glück und treffen in der
Pause noch einmal ganz entspannt auf Leroy
„Horsemouth“ Wallace und Abdou Day.
Nach Dub Inc. aus Frankreich zu sehen, die auf der Red Stage auftreten
und etwas eher als Busy Signal an der Reihe sind, verspüren
wir kein Bedürfnis. Bisher konnte uns noch nichts von dem
bisher Gehörten anlocken oder überzeugen. Warum die
ausgerechnet als vorletzter Act des Abends auf der Red Stage gelandet
sind, ist etwas unklar. Da ist doch Busy Signal auf der Green Stage die
eindeutig bessere Wahl. Busy
Signal gehört der jamaikanischen Hardcore-Dancehall
Szene an und ist damit zwar auch nicht unbedingt einer meiner
Favoriten, aber er hat auch Material dabei, was selbst einem Rootser
richtig gut gefallen kann. Mit Hits wie „Night
Shift“ und „One More Night“ kann er auch
seine sanftere Seite zeigen. Letztendlich ist und bleibt er aber, neben
Bounty Killer, Mavado, Elephant Man, Vybz Kartel und Anderen, einer der
bekanntesten Dancehall-Vertreter Jamaikas, und selbst für mich
einer der Besten von ihnen.
Als wir Busy Signal wieder verlassen, treffen wir auf einen
äußerst grimmig dreinblickenden Andrew Tosh, der
seine Blicke über Busys jubelnde Fangemeinde schweifen
lässt. Sein verhinderter Auftritt liegt ihm offenbar sehr
schwer im Magen. Immerhin ist er aber gesprächsbereit. Seine
Miene bleibt aber versteinert, nahezu egal was man zu ihm sagt. Auch
seine Albumcover, die ich zum signieren vorsorglich dabei habe, bringen
keine Aufhellung in sein Antlitz. Bei jedem anderen Artist
führt das in der Regel zu irgendeiner Form des Dankes oder
Freude. Über der für Andrew Tosh vorgesehenen
Backing-Band braut sich sicherlich ein ganz schweres Unwetter zusammen.
Da möchte ich nicht dabei sein. Sie hätten sicher von
Paris eher losfahren müssen. Bei einer Strecke von zirka 5
Fahrstunden, sollte man eben auch ein paar Stunden Reserve
einkalkulieren. Lang genug wäre der Tag gewesen, bis zu
Andrews geplantem Auftritt gegen 17:00 Uhr.
Bild 1: Andrew Tosh Bild 2: Barrington Levy
Letzter Act des Abends, den wir aus der Nähe verfolgen
können, ist dann für uns Barrington Levy.
Er gilt als einer der Begründer des frühen
jamaikanischen Dancehalls. Barrington ist inzwischen über 30
Jahre im Musikgeschäft und hat es dabei auf zirka 20 Alben
gebracht. Mit Hits wie „Here I Come“,
„Under Mi Sensi“, „Englishman“,
„Broader Than Broadway“ und Anderen, hat er sich in
der Geschichte des Reggae und Dancehall ein bleibendes Denkmal gesetzt.
Während Barrington Levy noch mit seinen Fans vor der Green
Stage abfeiert, läuft schon die Pressekonferenz mit Busy
Signal an. Mit dabei ist die C Sharp Band,
die heute für Busy als Backing Band gespielt hat. Sehr
erstaunlich wie sich die Band wandeln kann, auch vom Gesichtsausdruck
her. Letztes Jahr habe ich sie erst bei der „Montego Bay
Tour“ von Tony Rebel und Queen Ifrica erlebt. Monty mimt mit
roter Basecap, weißumrandeter Sonnenbrille und
verschränkten Armen den Obercoolen. Auch die anderen
Bandmitglieder schauen nicht sehr zugänglich aus und sitzen da
wie eine verschweißte Gang oder wie Bodyguards von Busy
Signal. Busy selbst hebt sich da richtig positiv ab und beweist sich im
Interview als bodenständiger und zugänglicher Artist.
So hätte ich ihn eigentlich nicht erwartet.
Bild 1 + 2: Pressekonferenz Busy Signal
Zum Schluss unserer persönlichen Tageszusammenstellung schauen
wir noch einmal nach Patrice
auf der Red Stage und kommen gerade noch zu seinem Hit „Soulstorm“ vom
Album „Nile“ zurecht. Die
Bühnennähe ist natürlich nicht mehr zu
erreichen und Fotos müssen auf eine spätere
Gelegenheit warten.
Während dieser ganzen tollen Eindrücke des ersten
Festivaltages, haben wir zum Glück den Ärger um unser
Zelt glatt vergessen. Erst beim „Heimweg“
müssen wir wieder daran denken. Zum Glück finden wir
aber alles unverändert vor. Die Sache hat sich
geklärt. Auch unsere Nachbarn vom Reggaebus sind alle noch an
ihrem Platz. Sogar die meisten Illegalen sind noch da. Nur ein paar
Pavillons sind verschwunden.
Sonnabend
– 02.07.2011
Den heutigen Tag können wir etwas ruhiger angehen. Die Green
Stage ist heute für den Reggae Fan
so gut wie gar nicht zu gebrauchen. Auf der Red Stage können
wir auch den ersten Act getrost verpassen. Richtig los geht es
eigentlich erst mit I-Fire.
Aber wie auch immer, informieren vor Ort schadet erst einmal nicht.
Bei iLLBILLY
HiTEC, ein Sound aus Deutschland, hat sich eine
klägliche Fangemeinde vor der Red Stage eingefunden. Ich muss
mir eingestehen, dass sich meine Meinung nach drei miterlebten Songs
keineswegs geändert hat. Diese Soundsystemshow ist momentan
überhaupt nicht mein Ding. Auch die meisten anderen
Gäste stehen eher gelangweilt herum. Um diese Musik
näher beschreiben zu können, bin ich der falsche
Mann, hört einfach bei Myspace oder anderenorts hinein.
Also schauen wir einmal was auf der Green Stage los ist.
Bei Che Sudaka
sieht es etwas besser aus, aber auch nicht so sehr befriedigend. Die
Bandmitglieder stammen aus Argentinien und Kolumbien,
gegründet haben sie sich aber in Spanien. Deren Mischung aus
Punk, Latin, Ska, Rock und Reggae (Reggae wage ich kaum
anzuführen), ist wiederum absolut nicht mein Ding. Eine
reichlich bunte Truppe, die man kaum einzuordnen mag. Aber sie
verstehen es eine Live-Performance hinzulegen und haben unter den
Gästen doch ein paar interessierte Leute.
Mit Reggae-Festival hat das aber eher weniger zu tun.
Also ist etwas Zeit zum Bummeln und endlich einmal Zeit dem Circus Changhigh
ein wenig zuzusehen. Dänemarks einzigen Einrad-Zirkus gibt es
schon seit über 17 Jahren. Die auf Mittelalter-Style und
Reggae getrimmte Truppe ist schon seit vielen Jahren Gast beim
Summerjam. Jean Ascher ist gerade dabei seine Zirkusmitglieder
vorzustellen und beginnt seine neue Show, deren Zeiten immer an der
Bühne angeschrieben sind. Irgendwann für die Dauer
des Festivals sollte also jeder einmal die Gelegenheit bekommen, sich
das Spektakel anzusehen.
Seine Bühne ist beflaggt mit ein paar Bob Marley Fahnen, und
aus seinem interessant anzusehenden Soundsystem gibt es Reggae auf die
Ohren. Viele interessante Details kann man auf Jean Aschers
Bühne entdecken, die einem aus der Ferne gar nicht auffallen.
Wer einen Spazierstock aus echten Knochen haben will, oder sich
für andere mittelalterliche Utensilien interessiert, wird auch
bei ihm fündig.
Weiterhin auf dem Gelände befindet sich eine interessante
Ausstellung des Künstlerduos
„Strassenkoeter“. Die Ausstellung nennt sich
„Artists 4 Viva Con Agua“. Die Ausstellung soll
Interesse wecken für ein aktuelles Sanitär- und
Hygiene Projekt in Burkina Faso. Das Künstlerduo „Strassenkoeter“
porträtiert fotografisch Musiker und setzt sie illustrativ in
Szene. Die porträtierten Künstler und die beteiligten
Partner engagieren sich ehrenamtlich. Der Erlös aus dem
Verkauf der Bilder fließt dem Projekt „Viva
con Agua“ zu.
Schaut doch einmal herein.
Dann wird es langsam Zeit, sich zu I-Fire an die
Red Stage zu begeben. Die neunköpfige Band aus Hamburg mit
ihren 3 Frontsängern Free, Rawbird und Dub-Ill-You wird oft
mit Seeed verglichen.
Wer sie einmal gesehen hat ist schnell von ihrem Style
überzeugt. Sie selbst beschreiben sich so:
„Originär, international und verdammt kraftvoll!
Ska-lastige Bläsersätze vermischen sich mit
Dancehall-Tunes. Reggae-Flows treffen auf stilsichere
Riddims’n’Rhymes und superbe HipHop-Beats.
Provokante Texte und jede Menge positive Vibes voller Energie. This is
the sound of I-FIRE!“ Und das hat Wirkung! Das
Gelände vor der Red Stage ist, so weit man blicken kann, gut
gefüllt.
Das Programm der Band bedient alle Fangemeinden
gleichermaßen, wie es ihre eigene Charakterisierung auch
erhoffen lässt. Dementsprechend ist das Publikum auch bunt
gemischt und alle musikalischen Lager sind anwesend. Abwechslung
– so heißt das Zauberwort.
Dann ist wieder Entspannung im Gelände angesagt. Mit dem
nachfolgenden Samy Deluxe können wir uns natürlich
überhaupt nicht anfreunden. Samy Deluxe als Vertreter des
deutschen HipHop und Rap, ist genau das, was ich überhaupt
nicht brauche. HipHop sollte besser beim Splash und ähnlichen
Festivals bleiben, sonst geht die ursprüngliche
Atmosphäre des Summerjam immer mehr verloren, von der jetzt
schon nicht mehr allzu viel übrig ist. Jeder Reggae-Fan wird
wissen, was ich damit meine, besonders die Roots-Reggae-Fans.
Im Gelände treffen wir dann noch einmal Leroy
„Horsemouth“ Wallace, der sich am Jamaican-Food
Stand ganz wohl fühlt. Er schlägt vor, was alles sehr
gut schmeckt und plaudert auch über seine
persönlichen Koch- und Essgewohnheiten. Manche Dinge kennen
wir ja schon, aber seine eigenen Rezepte sind wieder etwas anders.
Ackee and Saltfish ist da noch das Einfachste, was natürlich
sehr gut schmeckt und auch für 10 EUR am Stand zu haben ist.
Eigentlich viel zu teuer, aber Horsemouth findet das richtig.
„In Jamaika würde ich das natürlich auf
keinen Fall bezahlen. Dort bekommst du das für ein paar Dollar
an jeder Ecke. Aber hier bezahle ich das gerne. Ich sehe das als
Unterstützung für unsere Landsleute, die hier unter
ganz anderen Bedingungen davon leben müssen.“ Aber
das richtige Essen ist nur eine Seite des gesunden Lebens und
Horsemouth erzählt wie er sich fit hält.
„Der Körper ist wie eine Maschine, sie muss am
Laufen gehalten werden. Wenn du eine Maschine lange Zeit nicht mehr
benutzt, wird sie fest und geht kaputt. Mit dem Kopf ist das
genauso.“ Er ist jetzt 64 Jahre alt, macht täglich
Sport und erreicht noch immer aus dem Stand mit den Händen die
Fußspitzen, was er dabei immer mehrfach übt.
Themawechsel. Mir ist nicht ganz klar, bei wem Horsemouth beim
Summerjam auf der Bühne zu sehen sein wird und möchte
das natürlich von ihm wissen. „Ich werde am Sonntag
bei den Congos mitspielen. Sie sind gute Freunde von mir. Max Romeo und
Lee Perry natürlich auch.“, ergänzt er.
Alle drei Acts sind ja mit derselben Backing Band am Start. Wir sind
natürlich mächtig gespannt und hoffen auch auf einen
gemeinsamen Programmpunkt der drei Reggaelegenden, der am Sonntag
greifbar nahe liegt. „Ich kann dir sehr viel über
die wahre Geschichte des Reggae erzählen.“,
fährt Horsemouth fort, aber dazu kommt es nicht mehr. Wir
können Horsemouth nicht ewig für uns beanspruchen,
und andere Leute warten auch schon am Rande der Szene. Also
verabschieden wir uns erst einmal und machen Platz auf Leroys Bank.
Wir müssen uns auch wieder langsam in Richtung Red Stage
begeben. Wenn wir die Haupt-Acts des Tages wie Anthony B, Alpha Blondy
und Jimmy Cliff aus günstiger Position erleben wollen, sollten
wir wenigstens schon ein Programmpunkt zuvor daran arbeiten. Wir
geraten geradewegs in den Strom der abwandernden Deluxe-Fans hinein und
kommen kaum vorwärts. An der Einengung des Geländes
zwischen den beiden Bühnenvorplätzen ist kein
Durchkommen. Wir sind ein Deut zu spät dran und erwischen nur
noch einen abgeschlagenen Randplatz vor der Bühne. Hoffen wir
auf eine weitere Verschiebung der Interessenlager zum Ende des
Auftritts von Mono & Nikitaman. Wenn ich mir die Fans so
anschaue, könnten da noch einige abwandern. Neben mir haben
ein paar Jugendliche den „Festiville
2011“ von Reggaeville in den Händen und
unterhalten sich gerade über den darin enthaltenen Beitrag zu
Ziggy Marley. „Ist das vielleicht der Sohn von diesem
… äh Bob Marley … du weißt
schon?!“ „Ach Quatsch …!“, so
der Andere. Das ist doch echt erschütternd, wenn man sich so
etwas anhören muss. So also sind die Fans von
„Mono..man“ drauf. Keine Ahnung von Reggae. Das
macht zumindest Hoffnung, auf bessere Plätze beim
nächsten Programmpunkt. Mono
& Nikitaman haben als einziger Act des Festivals, die
Zeit für die Fotografen im Fotograben, irgendwo an das
zeitliche Ende ihrer Show gelegt und dies sogar auf exakt vorgegebene
Minuten beschränkt. Schon ungewöhnlich, aber sie
werden sich etwas dabei gedacht haben. Uns egal, wir nutzen das nicht
und stecken sowieso hier fest. Seit 01.04.2011 haben die Beiden ihr
neues Album „Unter Freunden“ am Start. Für
mich eigentlich nichts dabei, was mich vom Hocker reißen
könnte. Mit „Kontrast“ ist nur ein
einziger Reggae-Song dabei. „Superstar“ geht gerade
noch als solcher durch.
Aber ein Album muss ja kein Maßstab sein.
Zurückliegend ist mir allerdings auch noch nicht sehr viel
Hörenswertes zu Ohren gekommen. Lassen wir uns
überraschen.
Leider bleibt fast während dem ganzen Konzert die
Überraschung aus. Einziger Lichtblick und Erholung in der Show
ist „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht
hin“, vom 2006-er Album „Für
Immer“. Zum Ende der Show werden dann am Bühnerand
ein paar Feuerfontänen in Brand gesetzt. Als sie erloschen
sind, kommen schließlich die Fotografen in den Pressegraben.
Das war sicher zu spät,
„Mono…man“ haben sich da leider mit den
Minuten verkalkuliert, sicher sollte dies der Grund für den
später angesetzten Fototermin sein. Ich bin letztendlich
erleichtert, dass die Show nun bald zu Ende ist. Das Konzert hat mir
nicht viel gebracht und meine bisherige Meinung nur verfestigt. Wenn
das der neue Reggae sein soll, will ich kein Reggae Fan mehr sein und
lieber von gestern oder vorgestern sein. Auch wenn die Stimmung vor der
Bühne überwiegend perfekt ist, kann man genau sehen,
wo die Reggae-Fans stehen, die das nur wegen den nachfolgenden Artists
über sich ergehen lassen. Ein Foto von Michael
Grein, gibt das sehr gut wieder (siehe Bild 9 der Galerie,
unten rechts). Und dann muss man sich auch noch Fragen gefallen lassen
wie: „warum man denn nicht mitgehe“ und
„was man hier überhaupt auf dem Festival
wolle“. Der Verweis auf nachfolgende Acts wie Anthony B,
Alpha Blondy und Jimmy Cliff, erzeugt nur fragende Blicke. Die kennt
der Fragesteller gar nicht. Einfach nur haarsträubend!
Summerjam wo bist du nur hingekommen!? Auch Andrew Murphys Bedauern
über den Ausfall von John Holts Konzert, worüber er
den Besuchern vor Beginn dieser Show, noch etwas erzählen
wollte, fiel nicht auf fruchtbaren Boden. Der Bereich des Publikums,
mit dem Andrew sprach, hat tatsächlich noch nichts von John
Holt gehört. Andrew ist sprachlos.
„Mono…man“, eure Fans sind in
großen Teilen unglaublich! Tut mir leid, aber solche
„Reggae-Fans“ dürfen sich eigentlich nicht
als solche betiteln. Wer hat denen das nur eingeredet?
Dann beginnt das große Gedrängel im Rahmen der
Fanwanderung. Unsere Position ist aber nicht gut genug. Wir
können nur wenige Meter gut machen. Die
größte Abwanderung kommt aus der Mitte heraus, und
davon sind wir hoffnungslos entfernt.
Als dann die Zeit für den Auftritt von Anthony B
herangerückt ist, rückt Andrew Murphy verlegen mit
einer Ansage heraus. „Ja ich weiß nicht was ich
sagen soll, aber aus irgendeinem Grund befindet sich Anthony B noch
nicht auf dem Gelände. Aber er soll unterwegs sein. Nur wann
er hier eintreffen wird, wissen wir nicht.“ Na klasse.
Hoffentlich führt das nicht zum nächsten Ausfall. Von
Anthony B ist man das eigentlich nicht gewöhnt. Bei den vielen
Konzerten, die ich bisher gesehen habe, ist das noch nie vorgekommen.
Ja was tun? Jetzt ist Andrew gefragt, wartet mit ein paar Bob Marley
Klassikern auf und hat die Massive sofort im Griff. Als er dann auch
noch den am Rande stehenden Roughhouse
auf die Bühne bittet, um den Titel
„Exodus“ zu performen, geht ein Jubel durch die
Menge. Man könnte fast glauben, Anthony B ist vergessen.
Bild 1 + 2: Andrew Murphy Bild 3 + 4: Roughhouse
Dann kommt aber die Nachricht, dass Anthony B nun
eingetroffen ist. Es vergehen dann auch nur noch wenige Minuten bis
Anthony B seine Show beginnt. Heute hat er sich wieder ein edles Outfit
zugelegt.
Weißer Turban, weiße Hose, weiße Schuhe,
weißes Shirt, darüber ein bunt kariertes Hemd und
ein dunkles Jackett. Sein Stock ist dieses Mal in schlichtem Schwarz,
mit goldenem Knauf und goldener Spitze. Anthony B ist einer der besten
Modern-Roots-Reggae Vertreter aus Jamaika und immer ein Garant
für eine tolle Show. Seit 1996 Anthony B-s Debütalbum
„Real Revolutionary“ in der Reggaewelt wie eine
Bombe einschlug sind 15 Jahre vergangen. Seit dieser
Veröffentlichung hat Anthony über 20 Alben und
tausende Singles veröffentlicht. Darüber hinaus ist
er auf hunderten Alben anderer Künstler oder Compilations mit
vertreten. Langsam verliert man den Überblick und muss sich
den Einkauf überlegen. Es vergeht kein Jahr an dem er nicht
ein oder mehrere Alben herausbringt. Seine bisher letzten beiden Werke
heißen „Encore“ und „Rasta
Love“. In seiner Show bedankt er sich beim „Vater
des Festivals, dem großen Promoter Klaus Maack“ und
fordert die Massive zum Beifall auf. Auch Horsemouth bekommt von
Anthony B eine Anerkennung. Er ruft ihn zu sich und lässt ihn
über die Bühne laufen. Horsemouth freut sich und
winkt der Massive zu. Jetzt dürfte es auch der Letzte
mitbekommen haben, dass der Drummer und die Hauptfigur aus dem Kultfilm
Rockers, auf dem Festivalgelände ist.
Nächster Act des Abends ist Alpha Blondy
mit seiner Band Solarsystem. Alpha Blondy, der bürgerlich
Seydou Koné heißt, kommt aus der
Elfenbeinküste. Sein neuestes Werk heißt
„Vision“ und ist seit 04.04.2011 auf dem Markt.
Alpha Blondy ist einer der bekanntesten Reggae-Musiker aus Afrika und
weltweit äußerst erfolgreich. Er singt in den
verschiedensten Sprachen wie Dioula, Englisch, Französisch,
Hebräisch und Arabisch. Von seinen zahlreichen Hits, die er
heute präsentiert, ist das Stück „I Wish
You Were Here“ vom 2007-er Album „Jah
Victory“, einer der Höhepunkte der Show. Alpha
Blondys Reggae-Version dieses Pink Floyd Klassikers ist kaum zu
übertreffen. Während der Show landet doch
tatsächlich, aus der Massive kommend, ein Gummiball direkt auf
Alphas Kopf. Der nicht müde, macht sein Mikro fest, drippelt
über die Bühne und kickt den Fußball
zurück in die Massen. Fast hätte ihn das auf die
Bretter gelegt, aber er kann sich gerade noch so abfangen. Bei dieser
Gelegenheit kommt er wenigstens einmal auf unsere Seite der
Bühne, auf der er sich fast die ganze Show lang nicht sehen
lässt. In Alphas Verschnaufpause stellt eine seiner drei
Backgroundsängerinnen, die 12-köpfige Mannschaft vor,
die bei dieser Gelegenheit natürlich mit ein paar Soloeinlagen
glänzen können. Die Frau hat wenigstens Stimme -
nicht so dünn wie Mono. Schade, dass man sich die ganzen Namen
der Bandmitglieder nicht merken kann. Die Musiker kommen aus den
verschiedensten Ländern wie Togo, Kamerun, Frankreich,
Elfenbeinküste, Großbritannien und Jamaika. Ganz zum
Schluss stellen sie sich noch einmal alle zusammen an der
Bühnenkante auf, um sich zu verabschieden. Nur Alpha fehlt.
Dann geht es in die letzte Runde des zweiten Festivaltages. Mit Jimmy Cliff
kommt der dritte Höhepunkt des Tages. Der „The
Harder They Come“ Star James Jambers, wie Jimmy Cliff
bürgerlich heißt, ist inzwischen 63 Jahre alt, aber
seine Shows sind nach wie vor ein Erlebnis und mitreißend.
Wer kennt sie nicht, Klassiker wie „You Can Get It If You
Really Want“, „Wonderful World, Beautiful
People“, „Can See Clearly Now“ oder
„Vietnam“, nur um einige Wenige zu nennen.
„Vietnam” wird heute gleich einmal aktualisiert und
auf „Afghanistan“ umgedichtet. Seine Show hat viele
Höhepunkte, aber am meisten beeindruckt mich immer wieder das
Stück „Bongo Man“, ein Stück der
Extraklasse mit den verschiedensten Trommeln. Die gesamte Band reiht
sich, soweit die Instrumente transportabel sind, an der
Bühnenkante auf und jagt einem bei abgedunkeltem Licht so
manch wohligen Schauer über den Rücken. Jimmy Cliff
ist ganz einfach ein Muss für jeden Reggae-Fan.
Heute wäre auch die letzte Gelegenheit, der auf P8
ausgelagerten Dancehall Arena einen Besuch abzustatten, aber wir
verdauen lieber in Ruhe die Eindrücke des Tages und schlafen
uns aus für den morgigen Tag.
Sonntag
– 03.07.2011
Ein letztes Mal geht es frühzeitig zur Akku-Ladestation, die
ja eigentlich das Infocenter ist. Auf dem Tisch ist kaum noch Platz,
und die meisten Steckdosen sind besetzt. „Hast du dein Handy
aus?“ werden immer wieder die „Kunden“
gefragt. Und trotzdem bimmelt es immer wieder an allen Ecken im
Info-Container. Das kann schon nerven. Ansonsten geht alles seinen
geordneten Gang. Eine Nummer wird auf Akku und Ladestecker oder dem
Handy aufgeklebt, und das Gegenstück bekommt der Kunde.
„Wenn du die Nummer verlierst, hast du ein
Problem!“, werden immer wieder die freundlichen Hinweise
verteilt. Das möchte wirklich nicht passieren. Trotzdem,
„Bitte Lächeln“ steht als ernst gemeinter
Hinweis unter dem Containerfenster. Sicherlich nicht ohne Grund, man
wird sich hier so Einiges den ganzen Tag lang anhören
müssen, wofür man eigentlich gar nichts kann.
Auf der Insel startet der letzte Festivaltag mit Who Dat!? auf der Red
Stage und mit Mellow
& Pyro auf der Green Stage.
Was ist das denn, sind wir nun beim Karneval? Mellow als
„Hulk“, zumindest der Farbe nach, und Pyro als
…, wie heißen doch gleich die Blauen? Mellow Mark
hat sich ja in den letzten Jahren sehr gewandelt. Erst die Dreads ab
und jetzt Farbe auf die Haut. Was kommt noch? Auch die beiden
Backgroundsängerinnen sind ganz auf Karneval eingestellt.
Für diese Mischung aus Soca, Funk, ein Schuss Reggae und Ska
und …(?) ja was, kann ich mich nicht erwärmen.
Aber auf alle Fälle gibt es hier ein paar mehr Fans als bei "Who Dat!?".
Who Dat!? geht gar nicht. Da ist mir jeder Speicherplatz auf der Kamera
zu
schade. Selbst das klägliche Häufchen Hip-Hopper vor
der Red Stage, bzw. die die nicht da sind, sehen das offenbar nicht
viel anders. Mellow & Pyro sind dann doch dagegen wie Gold.
Bild 1: "Begeisterung" bei Who Dat!?
Aber nach Mellow & Pyro wird es auf der Green Stage wieder
richtig gut. The
Busters stehen schon 24 Jahre auf der Bühne und sind
Deutschlands absolute Ska-Legende. Die Band legt eine Show der
Extraklasse hin. Rob
an der Posaune, ist der Witzbold der Truppe. Mit seiner wechselnden und
lustigen Mimik bringt er immer wieder die Fans zum Lachen. Zum Beispiel
beim Song „Mickey Mouse in Moscow“ zeigt er die
ganze Zeit seine Schneidezähne, oder beim Winken zu den Fans,
wird mit der anderen Hand die Achselhöhle zugehalten. Richtig
unterhaltsam der Typ, unabhängig oder zusätzlich von
der guten musikalischen Leitung natürlich. Ron,
der Sänger der Band, der aus Holland stammt, stellt
während der Show die 10-köpfige Mannschaft vor.
Richtig ungewohnt und auffallend ist dabei, dass mal einer die
Heimatsprache verwendet. Da gibt es doch tatsächlich wieder
einmal Instrumente wie Schlagzeug, Klavier, Orgel usw.. Ein Rufer
fordert: „Sprich Englisch!“ Er wird darauf gefragt,
wo er denn herkomme. Als dieser meint: „Aus
England“, sagt Ron: „Oh, das tut mir
leid.“ Der „schlimmste Finger“ der Band
soll laut Ron der Mathias
am Saxophone sein. Die Story, die das begründet, erfahren wir
aber leider nicht. Wer alle Bandmitglieder besser kennenlernen
möchte sollte sich die aufschlussreichen und witzigen
Vorstellungen auf der Website von The Busters durchlesen. Eine sehr
gute und unterhaltsame Idee. Und genau wie diese Vorstellungen
läuft die gesamte Show ab, sehr vielseitig, unterhaltsam,
witzig, musikalisch perfekt und immer wieder ein anderes
Bühnenbild. Und man glaubt es kaum, Ron entschuldigt sich
sogar dafür, dass sie mit Ska ein wenig schneller seien als
mit Reggae. Das geht natürlich völlig in Ordnung. Ska
gehört doch ohne Frage zu einem Reggae-Festival dazu. Aber
immerhin ist Ron noch einer, der wenigstens an den
ursprünglichen Festivalgedanken glaubt. Zum Abschluss der
gelungenen Vorstellung verbeugt sich die gesamte Band an der
Bühnenkante vor den Fans. The Busters – immer wieder
ein Besuch wert.
Dann rückt der absolute Höhepunkt des Festivals
heran. The Congos, Max Romeo und Lee Pery in einem Programmpunkt mit
derselben Backing Band. Alle drei Acts sind legendär
für sich allein. Lee Perry hat an der musikalischen
Entwicklung der Congos und auch von Max Romeo erheblichen Anteil.
Das von Lee Perry produzierte 1977-er Album „Heart Of The
Congos“ war eine Sensation und ist bis heute der Knaller.
Besonders der darauf enthaltene Hit „Fisherman“,
ist der Klassiker schlechthin. 2006 hat man deshalb auch noch einmal
ein Doppel-(One-Riddim)-Album, „Fisherman-Style“
mit den Congos & Friends herausgebracht. Unglaublich gut das
Werk. Und die Zusammenarbeit mit Lee Perry ist wieder
äußerst fruchtbar geworden. Das im vorigen Jahr
entstandene Album „Back In The Black Ark“, ist auch
ein Beleg dafür. Bei Max Romeo sieht es ähnlich aus.
Hits wie „Chase The Devil“, „Three Blind
Mice“, „War Ina Babylon” und andere,
können wir auch Lee Perrys Mitarbeit verdanken.
Wer von Max Romeo noch ein Belegalbum braucht, sollte sich unbedingt
das 2008-er „Best Of“ zulegen. Das ist keine
gewöhnliche „Best Of“ mit alten Hits. Max
Romeos Hits wurden hier neu eingespielt, und jede Menge Friends sind
auch noch dabei.
Wie im Line-up angekündigt sind die Congos
zuerst an der Reihe, um mit den Fans ihre Hits zu feiern.
Watty Burnett ist dabei der Bühnenkomiker, bricht immer wieder
aus der Dreier-Aufstellung mit Ashanty Roy und Kenroy Fyffe aus, um
über die Bühne zu wanken oder mit Cedric zu tanzen.
Von seinem Tetrapack Wasser kann er sich auch nur selten trennen. Die
unterschiedlichen Stimmlagen der Congos zu hören, ist immer
wieder beeindruckend. Besonders der krasse Gegensatz der
Höhen- und Tiefenlagen von Cedric und Watty. Watty muss
natürlich auch das letzte Wort auf der Bühne haben,
als alle anderen schon gegangen sind und Max Romeo Platz gemacht haben.
Es gibt keine Verschnaufpause. Aber wo war nur das Fernsehteam vom
Rockpalast geblieben? Kein Interesse an den Congos? Na wenigstens sind
sie jetzt bei Max
Romeo aufgetaucht und können ein paar seiner Hits
aufnehmen. Hoffentlich bringen die auch alles, was sie aufnehmen. Vom
letzten Jahr gab´s bis heute noch nicht alle aufgenommenen
Acts zu sehen.
Im krassen Gegensatz zu Max Romeos edler Anzugsordnung, kommt dann Lee Perry,
der Meister des krassen, aber wie immer höchst interessanten
und schillernden Outfits, auf die Bühne. Lee Perrys
Musikkatalog ist kaum überschaubar und legendär, und
es ist immer wieder von neuem spannend, was der Inhalt seiner Show sein
wird. Heute bringt er Stücke die ich schon lange einmal
hören wollte. „Inspector Gadget“,
„My Secret Laboratory“ und viele andere Titel in
diesem Format, sind der Knaller. Die Massive ist hellauf begeistert.
Lee Perry ist inzwischen 75 Jahre alt geworden aber noch immer kein
bisschen müde – zum Glück für die
Fans. Eine Reihe der besten Momente verpasst wieder einmal das
Fernsehteam. Der Gesichtsausdruck eines Kameramannes ist vielsagend als
das Zeichen zum Cut kommt. Er schaute nahezu bettelnd, ob es denn nicht
noch weitergehen könne, kann beim Absteigen von der
Filmplattform kaum einen Blick von Lee abwenden und stürzt
natürlich zu Boden.
Nichts passiert zum Glück, aber trotzdem tragisch. Nicht wegen
dem Sturz aber wegen dem Filmabbruch. Legenden wie Lee Perry sollte man
ja nun wirklich komplett aufnehmen.
Dann ein Jubel in Richtung rechter Bühnenkante. Lee Perry
schaut etwas ungläubig. Da hat doch tatsächlich der
Gitarrist ihm kurzzeitig die Show gestohlen, als dieser die
Mütze abnimmt und seine langen Dreads aufschüttelt.
Zum Schluss dann der absolute Höhepunkt, der durch nichts zu
toppen ist. Meine kühnsten Erwartungen werden
tatsächlich war. Max Romeo kommt wieder auf die
Bühne, gefolgt von Horsemouth und den Congos. Ich habe
Tränen der Freude in den Augen. Das wir das erleben
dürfen, Wahnsinn.
Aber kein Fernsehen da, um diesen
historischen Moment festzuhalten, ich fasse es einfach nicht. Wer
berät die Leute nur? Alle zusammen singen jetzt „War
Ina Babylon“ in das sie auch ein wenig von John Lennons
„Give Peace A Chance“ einflechten. Der Eklat am
Rande ist jedoch, dass man Leroy „Horsemouth“
Wallace nicht an die Sticks lassen will. Der bisherige Drummer weigert
sich strikt und macht keine Anstalten seinen Platz zu räumen.
Das ist schon mehr als gemein. Horsemouth hat sich schon drei Tage lang
auf diesen Moment gefreut. Das muss doch abgesprochen gewesen sein.
Wieso sollte sonst Horsemouth vorher erzählt haben, dass er
heute seinen Einsatz bei diesem Auftritt hat.
Hier ein Video aus dem Publikum vom Finale, das zwar nicht das Erlebte
wiedergeben kann, aber trotzdem einer großer
Glücksfall ist.
Video:
„War Ina Babylon“ – Lee Perry, Congos und
Max Romeo – Summerjam 2011
Ja und Watty Burnett geht
natürlich wieder als Letzter von der Bühne, um sich
noch einmal persönlich und allein vom Publikum zu
verabschieden.
Besser kann es heute nicht mehr werden. Was jetzt noch
auf der Green Stage folgt, ist nur noch ein langsames „wieder
runterkommen“, bzw. für Reggae sogar das Ende.
Ganjaman: „Wir bewegen uns auf den … äh
… zeitlichen Höhepunkt zu.“ Na da hat er
gerade noch einmal die Kurve mit dem Wort
„zeitlich“ gekriegt. Sehr diplomatisch formuliert.
Wir geben erst einmal unsere Green Stage Position auf. Auf der Red
Stage kommt mit Ayo auch nicht gerade das, was wir nach dem eben
Gesehenen brauchen könnten. Außerdem ist
für 18:30 Uhr eine Pressekonferenz mit den Congos oder Max
Romeo angesetzt.
Die Angaben sind nicht ganz eindeutig. Aber völlig egal wer,
das ist natürlich keineswegs zu verpassen.
Die Pressekonferenz wird das Ereignis. Die Congos kommen gemeinsam mit
Lee Perry hereinspaziert.
Ein wenig später folgt Max Romeo und Horsemouth macht die
Runde noch ein Deut später komplett.
Mann oh Mann, so viel Musikgeschichte an einem Tisch, es ist nicht zu
fassen. Lee Perry reißt als zentrale Person des Tisches, die
ganze Show an sich. Das war aber fast zu erwarten, wenn man in die
Gesichter der Beteiligten blickt. Die Congos schauen fast nur zu Lee
Perry und erwarten förmlich seine Führungsrolle. Von
ihm wiederum gibt es einige nicht ganz nachvollziehbare Statements, die
von den Congos aber ganz witzig gehalten werden. Man muss das Ganze
auch als witzige Unterhaltung sehen und kann das einfach nicht Ernst
nehmen. Oder wer würde schon auf einen Teller kacken und daran
riechen, wenn er krank ist. So zumindest Lees Rezept für eine
Heilung.
Höhepunkt der ganzen Verirrungen ist, als Lee Perry einen
Journalisten nachdrücklich „zur
Hölle“ schickt, weil ihm dessen Fragen oder
Antworten nicht ganz in den Kram passen. Dabei wollte der Journalist
nur wissen, welchen Glauben Lee Perry verfolgt. Lee Perry weicht aus
und antwortet mit der Gegenfrage. Die Antwort „Roman
Catholic“ des Journalisten war dann der Auslöser
für Lees Ausraster, der anfangs noch harmlos klang, sich aber
immer weiter hochschaukelte. Letztendlich packt der Journalist seine
Sachen, entschuldigt und bedankt sich noch höflich
für das Interview und verlässt fluchtartig den Raum.
Wenn er nicht gegangen wäre, wäre wohl Lee gegangen.
Max Romeo ist das Ganze äußerst peinlich und
vergräbt das Gesicht hinter seinen Händen. Er
möchte sich offenbar am liebsten unsichtbar machen. Nicht ganz
nachzuvollziehen die ganze Aufregung von Lee Perry, er selbst hat sogar
einen Jesus auf der Mütze kleben, einen weißen
wohlgemerkt. Aber wer weiß, vielleicht hat ja die Position
auf der Mütze auch eine Bedeutung. Immerhin ist Jesus dort von
zwei Spidermans umgeben, was immer das auch zu bedeuten hat.
Video:
Ausschnitt von der Pressekonferenz
Nach der Pressekonferenz ist er dann wie ausgewechselt und wieder ganz
der Alte wie wir ihn eigentlich kennen, freundlich und zuvorkommend.
Heute haben wir einmal, die ihm nachgesagte
„andere“ Seite kennengelernt.
Nach dieser ganz speziellen Show schauen wir noch einmal wie die
Situation vor der Red Stage aussieht. Wir werden uns wohl nicht mehr
ins Gedränge begeben. Die Chance auf einen guten Platz
für den Auftritt von Ziggy Marley ist gering. Das
Gelände hat sich inzwischen zu sehr aufgefüllt.
Wir werden uns mit den ersten drei Stücken begnügen,
die wir aus dem Fotograben verfolgen können.
Ziggy Marley hat sich dafür aber etwas ganz Besonderes
ausgedacht. Jeder der Fotografen hat einen Fotovertrag zu
unterschreiben, sonst wird er nicht vor die Bühne gelassen.
Was ist das denn? Was darunter zu verstehen ist seht ihr hier.
Da hat man fast keine Lust mehr, irgendwelche Fotos zu machen. Der
Vertrag ist ja kaum erfüllbar.
Es ist auch eher nicht zu verhindern, dass Dritte in irgendeiner Form,
ein Bild von der eigenen Website holen. Hat denn eigentlich Ziggy
überhaupt schon mitbekommen, wohin die Technik gegangen ist?
Man kann auch die besten Bilder und Videos aus dem Publikum heraus
machen. Dank supermoderner Kompaktkameras, iPhones und was sonst noch
alles. Will er vielleicht künftig mit 10.000 Leuten vor der
Bühne einen Vertrag abschließen? Ziggy das ist der
Flop des Tages!
Dann bin ich mal gespannt, ob ich irgendwann vom Marley Imperium
unangenehme Post bekomme. Nach unseren drei Titeln streifen wir
über das weiträumige Gelände vor der Red
Stage. So weit man blicken kann ist alles ausgefüllt. Auch aus
der Ferne ist der Musikgenuss noch prächtig, und
übers Gelände weht der Geist von Bob Marley. Eine
schöne Illusion, die man da von Ziggy Marley
präsentiert bekommt.
Den letzten Act auf der Red Stage gibt es
dann mit Youssou
N´Dour. Auf seinem Gebiet ist er der
Superstar aus dem Senegal und vielleicht von ganz Afrika. Seine Musik
ist eine Mischung aus traditionellen Griot-Lobgesängen und den
Perkussions des Senegal mit afro-kubanischen Arrangements. Vor Beginn
der Show werden die Festivalbesucher lautstark und über einen
längeren Zeitraum hinweg, mit dem arabisch-islamischen
Gruß „Salem Aleikum“ zur Show eingeladen.
Auch Youssou N´Dour hat sich für den Fotograben ein
paar Einschränkungen erbeten. Bei ihm sind nur zwei Titel zum
fotografieren freigegeben, und das darf nur ohne Blitz erfolgen.
Seine
Show ist ungewohnt mit viel Reggae angefüllt, wie ich das
bisher bei ihm noch nicht gehört habe. Offenbar hat er
versucht, sein Programm ein wenig auf das Summerjam auszurichten. Auch
hier beweist er sein besonderes Können. Aber auch ohne Reggae
ist seine Musik mit den afrikanisch-arabischen Klängen ein
Erlebnis, wie man es nur selten haben kann. Afrikanische Musik
wäre zur Ergänzung des Reggae besser auf dem
Summerjam als HipHop aufgehoben. Das würde auch der
Atmosphäre gut tun.
Nach Ablauf der Fotozeit bei Youssou N´Dour geht es noch
schnell zu Joy
Denalane, auf einen aktuellen Eindruck und ein paar
Fotos. Das klappt gerade noch, weil die Startzeiten etwas versetzt
sind.
Danach geht es aber wieder zurück zur Red Stage. Youssou
N´Dour ist doch der wichtigere Act von beiden und ein
würdiger Ausklang des Festivals.
Dann kommen wie immer die wehmütigen und schönen
Momente zum Ende der Show.
Andrew zählt den Countdown für´s Feuerwerk:
„10 – 8 – 7 …“, die
„9“ musste er weglassen sonst hätte es
nicht geklappt, und dann folgt das grandiose Abschlussfeuerwerk. Man
hat fast den Eindruck, als würde es jedes Jahr
größer und schöner werden. Oder bilde ich
mir das nur ein?
Danach ist wieder Andrew gefragt um die aufgewühlten
Festivalseelen zu beruhigen. Den „Redemption Song“
gibt es dieses Mal nicht, den hat er schon vor Anthony B verschossen.
Aber es gibt ja auch noch andere Sachen (ist mir leider entfallen was
es war). Danach gibt es noch ein paar Geschenke aus einer
Papiertüte. Die Hände recken sich nach oben. Jeder
möchte ein T-Shirt fangen.
Als die alle sind, kann Andrew nur noch mit ein paar Tetra-Packs Wasser
dienen. Ja, das war´s.
Irgendwie war doch sonst mehr zum Ende auf der Bühne los. Die
Massen verteilen sich langsam und der Platz vor der Bühne ist
so gut wie leer. Da kommt doch tatsächlich der Andrew noch
einmal mit seiner Gitarre zurück. So schnell kann man gar
nicht gucken, wie der Platz wieder gefüllt ist. Die Masse hat
eben viele Augen. Kein Vorwärtskommen mehr. Andrew setzt sich
an die Bühnenkante, winkt ab und legt den Finger auf den Mund.
Seid doch leise, die anderen müssen das nicht mitbekommen,
sollen die Gesten wohl bedeuten. Und dann kommt er doch noch einmal,
der „Redemption Song“. Zwar ohne Licht und ohne
Mikro, der Saft ist längst abgedreht und die Stecker gezogen,
aber trotzdem schön.
Montag
– 04.07.2011
Über den P2 rasen die Kehrmaschinen und drehen immer wieder
dieselben Runden, auch wo lange schon kein Müll mehr liegt.
Arbeitszeit ist eben Arbeitszeit und man will nun freie Bahn haben. Das
ist der beste Wecker. Auch auf dem Zeltplatz fährt der
Lautsprecherwagen durch die Zelte, um die letzten müden
Gestalten von den Matten zu holen. Wir haben schon alles verstaut und
drehen eine letzte Runde übers Gelände, um wie jedes
Jahr die unschönen Nachwehen des Festivals zu betrachten. Es
ist immer wieder erstaunlich wie die Reinigungskolonnen dieses
Chaos spurlos beseitigen können.
Wir treffen einen alten Bekannten. Der Rasta schimpft über die
Entwicklung des Festivals. „Schau dich um, was hier los ist.
Viele sind schon Sonntag verschwunden. Das war früher nicht
so. Wer wegen dem HipHop am Sonnabend hier gewesen ist, hat kein
Interesse an den anderen Sachen. Das sollte man trennen. Wir brauchen
wieder mehr Reggae und afrikanische Musik. Auch solche
Künstler wie Youssou N´Dour. Das Summerjam geht
jedes Jahr ein Schritt weiter zurück. Es entfernt sich immer
mehr von seinem Ursprung. Eigentlich ist es schon gar kein richtiges
Reggae-Festival mehr. Zu teuer ist es inzwischen auch geworden. Leute
wie ich, können sich das schon längst nicht mehr
leisten. Ich komme nur noch her um mir die Musik aus der Ferne
anzuhören und versuche meinen Freunden hier zu helfen auf dem
richtigen Weg zu bleiben.“ Ja, was soll man sagen dazu. Auch
mir wäre ein Festival, ausschließlich mit Reggae und
afrikanischer Musik bedeutend lieber. Aber wir können nichts
tun dagegen. Und so lange der Reggae nicht noch weiter
zurückgeht, werden wir wohl noch ein paar Jahre mitmachen.
Wir verabschieden uns. „Bleib so wie du bist und Gutes wird
dir immer folgen!“, gibt mir der Rasta mit auf den Weg. Ein
paar Meter weiter will ich einer Pfütze aus dem Weg gehen,
rutsche aus und lande im Schlamm. Na Klasse. So viel zur Wirksamkeit
von Segen eines Rasta Elders. Er hat es zum Glück nicht
gesehen.
Wir sehen uns hoffentlich im nächsten Jahr wieder, und
verpasst bis dahin nicht die Mitschnitte vom Rockpalast!
Montag, 15.08.2011, 0:15 - 3:15 Uhr – Doku Summerjam 2011
(Ist doch wieder einmal eine „sehr
günstig“ gelegene Sendezeit!)
Copyright:
Text und Fotos by Reggaestory