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SAMUEL BLASER
01.02.2023 - REGGAE GRÜSSE VON DER GRÜNEN INSEL SCHWEIZ

Samuel Blaser
Echte wie auch selbst ernannte Visionäre sind offenbar unsterblich. Elvis Presley, Jim Morrison und andere tauchen immer mal wieder irgendwo als Untote oder Wiedergänger auf. Lee "Scratch" Perry ist nach seinem Tod am 29. August 2021 noch nicht wieder gesehen worden, vielleicht weil er als wiedergeborener Messias, Donnergott, Regenmacher, Sonnenkönig und großer Geschichtenerzähler ohnehin unsterblich ist.
In Volker Schaners Film „Lee Scratch Perry's Vision of Paradise“ wird er gefragt: „Dienst du Gott, wenn du Musik machst?“. Seine Antwort: „Natürlich. Gott will unterhalten werden.“ Große Wahrheiten sind eben immer einfach. Und auch der Münchner Journalist und Musiker Jakob Biazza hat wohl einen Sinn für das Übernatürliche, Unbegreifliche, Unerklärliche. In der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt er am 29. August 2021 in einem Nachruf: „Großer Unfug natürlich, jetzt zu behaupten, Lee Perry sei gestorben. Geister sterben ja nicht. Wenn sie diese Welt überhaupt verlassen, nehmen sie einen noch flüchtigeren Aggregatszustand an, zerstäuben und verteilen sich endgültig in die letzten Poren dieser Welt. Lee Perry, genannt ‚Scratch‘, Reggae-Pionier, Dub-Erfinder, Geistererscheinung eines jeden, der es mit dem Spirituellen einmal einen Tick zu ernst genommen hat, und Superlativ-Was-auch-immer jedweder Musik, die jemals in die Nähe eines Off-Beats gekommen ist, hat sich also endgültig in die Welt verteilt. Erzählt man sich.“ (‘tschuldigung – so viel Zitat musste sein.)

Das Fazit vorweg: Der Visionär Lee "Scratch" Perry lebt. Seine Musik lebt. Sogar in der Schweiz. Oder gerade in der Schweiz? Schließlich hat Perry mit Mireille „Miri“ Ruegg, die er im November 1991 in Zürich ehelichte, und den beiden gemeinsamen Kindern ab 1989 in Einsiedeln im Kanton Schwyz gewohnt. „Miri“ ist auch seine Managerin. Nachdem 2015 auch Perrys zweites eigenes Aufnahmestudio, das „Secret Laboratory“ in der Schweiz, abgebrannt war, residierte er allerdings wieder im „Raumschiff Gottes“, wie er in einem Interview verkündete, oder auch, etwas weniger prosaisch, in Green Island, irgendwo zwischen Negril und Lucea in Jamaika, im Parish Hanover. Sein Erbe verwaltet übrigens nach wie vor „Miri“ Ruegg.

Aliens von outta space

„Dubs remixed by Lee ‚Scratch Perry in July 2021 at Hyghwaves Recording Studio, Green Island, Hanover, Jamaica“, verspricht die neueste CD des Schweizer Posaunisten Samuel Blaser. Die Songs „Rainy Days“ und „Green Island“ sind darauf gleich zweimal zu hören: im Original mit der Band und als Remix mit Lee "Scratch" Perry himself. Digitale Arbeitsweisen erlauben eben auch weltweite Kooperationen.
Miri Ruegg hat Sam Blaser höchstpersönlich die Erlaubnis erteilt, mit dem Upsetter zu arbeiten.
Samuel Blaser & Lee Perry - Album Routes 2023

Das Album erscheint auf Werner Aldingers Label Yellow Bird (Enja) in München, das über einschlägige Erfahrungen mit Visionären verfügt: Hier ist auch Sun Ra’s letzte CD „Destination Unknown“, ein Live-Mitschnitt aus dem „Moonwalker“ in Aarburg aus dem Jahr 1992, erschienen. Manche Kreise schließen sich wie von selbst … Sun Ra – ein Bruder von Lee "Scratch" Perry, zumindest im Geiste? Perrys Black Ark und Sun Ra‘s Arkestra arbeiten schließlich mit dem gleichen arkaischen Material. „Jamaican E. T.“ heißt eine „extraterrestrische“ LP von Perry, auch Sun Ra‘s Wurzeln liegen irgendwo im „Outta Space“. Als Aliens aus einer anderen Welt weilen sie huldvoll als Besucher auf der Erde und hinterlassen hier ihre Musik – als Spuren, Vermächtnis und Wegweisung. Reggae oder Jazz? Egal: Geografische oder genrebedingte Grenzen interessieren die beiden Masterminds sowieso nicht. Perry schafft sich in der Schweiz mithilfe seiner Frau einen eigenen Kosmos. Das Sun Ra Arkestra präsentiert im November 2003 auch in Poschiavo in der italienischen Schweiz beim Uncool Festival im Cinema Rio seine interplanetare Musik. Im Februar 2013 spielt das 24-köpfige Spatial A.K.A. Orchestra Cosmic Jazz von Sun Ra, spacige Versionen von Jerry Dammers' eigenen Songs und andere geistesverwandte Musik in Berlin im Rahmen der Reihe „Unmenschliche Musik“. Space is the place, oder ist gar Switzerland „The Place“? Reggae und Jazz mit Ska und Rocksteady als missing links?

Weltenbürger Samuel

Auch der Schweizer Posaunist Samuel Blaser ist ein Satellit in diesem Kosmos, ein Dauerreisender zwischen den Genres, ständig on the road, immer unterwegs zu neuen Ufern, ein Freigeist, der sich immer wieder in unterschiedlichste Musikwelten mischt.

Samuel Blaser

Allein mit dem Gitarristen Marc Ducret und dem Drummer Peter Bruun hat er zwischen 2013 und 2020 weltweit ungefähr 150 Konzerte gegeben, darunter ein besonders beeindruckendes im November 2022 im Institut Français in Berlin. Seine Vorbilder sind Albert Mangelsdorff (dessen „Multiphonics“ hat er hundertprozentig in sein Spiel integriert), Eje Thelin, Åke Persson, George Lewis und Ray Anderson. Zumeist pendelt er zwischen Berlin und der Schweiz. Nicht ohne Grund heißt eins seiner Alben „Boundless“ … „Mittelalterliches und Barockmusik faszinieren ihn genauso wie Strawinsky und Neue Musik, Jimmy Giuffre, Blues, Fusion und Free Jazz“, lobt ihn Karsten Mützelfeldt in seinem „JazzFacts“-Porträt im Deutschlandfunk. Und vielleicht ist dieser andauernde Unruhezustand gar ein Wesensmerkmal wahrhaft großer Musiker? Wie Lee „Scratch“ Perry und Sun Ra ist auch Samuel Blaser ungeheuer produktiv: Seine Diskografie umfasst bereits jetzt ca. 30 CDs und LPs unter eigenem Namen, auf weiteren spielt er als gefragter Sideman. Geboren am 20. Juli 1981 in La Chaux-de-Fonds im Schweizer Kanton Neuenburg – die „Ville à la campagne“ (Stadt auf dem Land) ist seit 2009 aufgrund der gut erhaltenen schachbrettartig angelegten Bebauung UNESCO-Welterbe –, belegt er heute mit seinen 41 Jahren einen Spitzenplatz in der Phalanx der weltbesten Posaunisten.

Samuel Blaser

Aufgewachsen in einem musikinteressierten Haushalt, spielte er nach dem Besuch des Konservatoriums im Vienna Art Orchestra und der European Radio Big Band, um dann mit einem Fulbright-Stipendium an das Conservatory of Music des Purchase College der State University of New York zu gehen. „New York veränderte meine Vorstellung von Jazz und improvisierter Musik total. Die Energie dort ist einzigartig und wirklich inspirierend“, bekennt er später. Danach ist Berlin für einige Jahre seine homebase. 2005 erscheinen erste Aufnahmen Samuel Blasers auf dem Label yvp music unter dem Titel „Rêves“ mit Stefan Aeby (Piano), David Pouradier Duteil (Schlagzeug) und Yves Torchinsky (Bass), 2006 gründet er seine erste eigene Band, 2008 folgt die erste CD unter eigenem Namen – „7th Heaven“, Alben mit Daniel Humair, Marc Ducret, Gerry Hemingway, Pierre Favre, Paul Motian, Peter Bruun und anderen verankern ihn in der Jazz Community. Die erste Solo-CD heißt „Solo Bone“ (2009), „18 Monologues Élastiques“ (2020) die zweite. 2019 gewinnt er den European Jazz Award, zwei Jahre später steht er auf Platz 1 in der „DownBeat“-Umfrage als bester Newcomer-Posaunist.

Reggae hinter dem Sofa

Als Lee "Scratch" Perry 2004 seine LP „Panic In Babylon“ aufnimmt, ist nicht nur die Schweizer Band White Belly Rats dabei – sondern auch Samuel Blaser mit seiner Posaune. Eine Initialzündung? Weg vom Jazz in Richtung Reggae? Samuel Blaser: „Das erste Mal, wo ich Reggae gehört habe, war wahrscheinlich bei meiner Mutter. Sie hat viel Musik gehört – darunter Louis Armstrong, Ray Charles, Harry Belafonte und Bob Marley.
Ich erinnere mich: Eines Abends wollte ich nicht schlafen gehen, und sie sah im Fernsehen eine Show mit Bob Marley. Ich versteckte mich hinter dem Sofa und schaute mir die Show hinter ihrem Rücken an.
Lee Perry - Panic In Babylon - Album Routes 2004
Das war wahrscheinlich mein erster Kontakt mit Reggae. Ich komme aus einer Gegend in der Schweiz, die zurzeit sehr Reggae-orientiert ist. Es gibt da eine Menge lokale Bands. Als ich am Konservatorium in La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuenburg, meiner Heimatstadt, studierte, hatte ich Unterricht bei meinem Posaunenlehrer, zusammen mit einem anderen Posaunisten, der Pädagogik studierte und in einer Reggae-Band spielte, wollte da aber aufhören. Deshalb nahm er Kontakt zu mir auf. Ich spielte in dieser Band, als ich ungefähr 17 oder 18 war. Wir probten jede Woche, und wir hatten eine Menge Auftritte. Die Band hieß The Moonraisers und war keine schlechte Band. Der Produzent hieß Pascal Brunkow und hatte Beziehungen zu Lee "Scratch" Perry, zu Dennis Bovell und Oku Onuora. Er war zwar ein Reggae-Producer, aber meiner Meinung nach mehr ein Techno-Producer. Wir haben dann mit der Bläsergruppe der Moonraisers, den White Belly Rats und Lee ‚Scratch‘ Perry 2004 das Album ‚Panic in Babylon‘ in einem Studio in Neuchâtel aufgenommen. Ich habe allerdings keinen der Musiker persönlich getroffen. Das war nur eine Aufnahme-Session, die Musik ging zuvor per Soundfiles rund um die Welt. Der Sound war aber nicht unbedingt mein Ding – eben ziemlich elektronisch. Die Bläser wurden am Computer hinzugemixt. Aber ich habe Erfahrungen gesammelt, und ich glaube, das Album lief damals ganz gut.“ Es ist heute übrigens von Sammlern gesucht.

Grüße von den Skatalites ...

2021 erscheint auf seinem eigenen Label Blaser Music seine CD-Single „The Don Drummond Tribute – The Great Tommy McCook“. Warum gerade Don Drummond und Tommy McCook? Samuel Blaser: „Beide sind Mitbegründer der Skatalites. Die habe ich oft im Konzert gehört, in New York, in der Schweiz, und zuletzt in Tampere in Finnland, einen Tag, bevor wir unser Projekt ‚Routes‘ zum ersten Mal öffentlich präsentierten.“
Das Album: bester Sound à la Skatalites, mit Soweto Kinch (Altsaxofon), Michael Blake (Tenor- und Sopransaxofon), Alex Wilson (Piano, Hammond-Orgel, Melodica), Alan Weekes (Gitarre), Ira Coleman (Bass) und Dion Parson (Schlagzeug), aufgenommen beim Tampere Jazz Happening in Finnland am 2. November 2019.
Samuel Blaser - Don Drummond Tribute - Album 2020
Da laufen bereits die Vorbereitungen für das Album „Routes“. Mit Ausnahme von Michael Blake sorgen diese Musiker auch auf der CD „Routes“, die etwas später als ursprünglich angekündigt am 12. Mai 2023 erscheint, für einen authentischen Ska- bzw. Reggae-Sound. Soweto Kinch als „featured guest“ war bereits bei Jazz Jamaica bzw. den Jazz Jamaica All Stars, gegründet 1991 von Ernest Ranglin, und auch der zweite Gast, die Sängerin Carroll Thompson, a.k.a. „Queen of Lovers Rock“, verfügt über einschlägige Referenzen. Wer kennt nicht ihr „Simply In Love“ von anno 1980? 2021 ist ihre LP „Hopelessly In Love“ als „40th Anniversary Expanded Edition“ erschienen. Auf „Routes“ singt sie „Rainy Days“ und „Beautiful Bed Of Lies“. Der Bassist Heiri Känzig verstärkt das Team bei „Lady Rowlinson“. Interessant und namhaft auch die credits beim Opener „Silver Dollar“: Steve Turre (Muscheln, Posaune), Jennifer Warthon (Bassposaune), John Fedchock, Glenn Ferris und Johan Escalante (alle: Posaune).

… und von Lee "Scratch" Perry

Vorab: Samuel Blaser und Lee "Scratch" Perry sind sich nie persönlich begegnet. Samuel Blaser: „Als Alex Wilson und ich anfingen, an dem Projekt „Routes“ zu arbeiten, hatten wir noch keine Vorstellung von dem gesamten Album. Wir beschlossen, mit zwei Tracks anzufangen, die wir als EP veröffentlichen wollten. Wir starteten mit „Green Island“, weil das meine erste Idee war, und ich arrangierte das Stück für sechs Posaunen und eine Rhythm Section. Das war eine Menge Arbeit, und wir brauchten eine Menge Zeit dafür. Dann entschieden wir uns für einen zweiten Titel, wir nahmen Kontakt auf zu Carroll Thompson, und sie war einverstanden, ihren Part auf einen Track zu singen, den ich ihr dann schickte. So hat’s angefangen. Und ich fragte mich, ob wir nicht jemand hätten, der diese beiden Tracks dubben könnte – für eine 12-Inch mit den beiden Originalen von uns und den zwei Dubs auf der anderen Seite. Ich wusste, dass Lee Perry in der Schweiz lebt, und ich hatte ja ein paar Aufnahmen für ihn gemacht, obwohl wir uns nie begegnet waren. Ich wollte mit Lee Perry reden, ob er einverstanden wäre, diese beiden Tracks zu dubben. Miri Ruegg versprach einen COVID-Preis und dass sie Musikern helfen wollten. Aber ich hatte natürlich keine Garantie, was Lee Perry tun würde.

Samuel Blaser

Ich musste im Voraus zahlen, ich drückte mir selbst die Daumen, dass der Dub in guter Qualität kommen würde. Lee Perry lebte dann schon nicht mehr in der Schweiz – ich glaube, es war zu kalt für ihn in der Schweiz und er ging deshalb zurück nach Jamaika und kaufte dort Land, um das ‚LSP Paradise‘ zu errichten. Er dubbte ‚Green Island‘ und ‚Rainy Days‘ in einem sehr kleinen Studio in Green Island. Und er fügte auch etwas Stimme zu den Dubs hinzu, auch wenn das gar nicht sein ursprünglicher Plan war. Der ‚Rolling Stone‘ machte da gerade eine große Dokumentation über ihn, und es war sehr attraktiv für die Fotografen, wenn er auf die Tracks auch sang. Ich war schon sehr nervös, bis ich die Dubs zurückbekam, aber als ich sie dann hörte, war ich ganz begeistert. Man merkt, dass er sehr viel Zeit investiert hat und sehr weise darauf achtete, was er wegnahm und was er hinzufügte. Wir waren schon übereingekommen, dass er die gesamten Aufnahmen dubben sollte und hatten bereits weitere sechs Tracks aufgenommen und wollten, dass er die gesamten Tracks dubben und das gesamte Album produzieren sollte. Wir waren uns über den Preis und den zeitlichen Rahmen einig, aber einen Tag später starb er. Das war das Ende dieses Abenteuers.“

„Play It Once, Sam!“

Die Weichen in die Jazz-oder Reggae-Richtung weiß Sam Blaser inzwischen mit schlafwandlerischer Sicherheit zu stellen. Vor schizophren bedingten Rutschgefahren behütet ihn eine typisch schweizerische Bodenhaftung. Und gut, dass es noch CDs gibt. Jede CD ist schließlich ein kleines Stück von allen Beteiligten. Trotzdem: live ist live.
Samuel Blaser: „Wir hoffen‚ „Routes“ in diesem Jahr auch live vorstellen zu können. Wir haben einen Vertrag mit der Agentur Music Without Borders von Mark van den Berg, die für diese Musik wahrscheinlich die beste in Europa ist. Wir werden im Sommer und im Herbst auf Tour sein. Wir wollen dieses Programm unbedingt live spielen, das ist unser Ziel. Bisher kennt mich noch kaum jemand als Reggae-Musiker. Die meisten sind überrascht, dass ich so etwas mache – und nicht nur als Sideman in diversen Projekten.“ Seine Chancen stehen gut. Schließlich bittet schon die Ilsa im Film-Klassiker „Casablanca“: „Play it once, Sam!“ Play it again and again and again!
Samuel Blaser - Album Routes 2023

Das Album "Routes" erscheint weltweit am 12. Mai 2023 bei Yellow Bird (Enja) in München. Am 27. Januar 2023 ist die erste Single mit dem Titel „Chronicles“ erschienen, im März folgt eine zweite Single mit „Beautiful Bed Of Lies“.

Copyright: www.reggaestory.de
Text: Rainer Bratfisch
Fotos: Alex Troesch

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