Das Begängnis auf den
Straßen durch anreisende Festivalbesucher, die Ereignisse auf
dem Campinggelände und natürlich das Festival selbst,
wurde auch von den Einheimischen mit großem Interesse
verfolgt.
Bernd Lagemann, der besser als Sheriff und Betreiber des Sounds Sheriffs
Soundpatrol bekannt ist, hat dieses
Festival aus der Taufe gehoben. Was vor 16
Jahren ganz klein mit zwei Bands bei einem Schützenfest
begann, hat sich im Schatten der großen Festivals
emporgearbeitet und ist inzwischen das beliebteste Festival in
Deutschland und über die Landesgrenzen hinaus geworden. Die
Leser der Riddim voteten in den Jahren 2005-2007 das Reggae Jam auf
Platz 2 und die letzten 2 Jahre mit Abstand auf Platz 1, obwohl das
Festival bedeutend weniger Besucher fasst als z. B. das Summerjam und
der Chiemsee Reggae Summer. Und das ist der Punkt. Obwohl das Reggae
Jam sich schon hätte vergrößern
können, will Sheriff dem Standort treu bleiben und keine
Vergrößerung vornehmen. Das Festivalgelände
im Klosterpark ist mit zirka 10.000-12.000 Besuchern voll ausgelastet,
und inzwischen ist eine Limitierung der Tickets erforderlich geworden.
Die zweite Ursache ist der musikalische Charakter des Festivals. Das
Reggae Jam hat sich fast 100%-ig dem Roots Reggae und Consciousness
verschrieben und ist damit das Roots Festival überhaupt. Das
hat wiederum zur Folge, dass man dort pure Entspannung
genießen kann. Alle sind friedlich und gut drauf, kein Stress
und kein Gedrängel trotz des kleinen
Festivalgeländes. Das Festival könnte glatt als
riesiges Familientreffen durchgehen. Die Zahl der Außenseiter
ist eher gering.
Auch auf dem Campinggelände wird versucht, anreisende
Partygäste die eigentlich nicht wirklich zum Festival wollen,
fernzuhalten. Camping ist deshalb nur mit Festivalbändchen
erlaubt. Auch das Müllproblem wird durch Einführung
von Müllpfand und Kennungsmarke erheblich eingedämmt.
Aber genug des Vorgeplänkels und auf zum Reggae Jam 2010.
Nachfolgend nun ein paar Festivalerinnerungen die ich textlich aber
etwas knapp halten werde, da der Einbau von detaillierten
Hintergrundinformationen zu jedem Artist ein endloses Projekt ergeben
würde. Bitte nutzt also zur Vertiefung die im Text angebotenen
Links.
Donnerstag
– 29.07.2010
Die Campingausrüstung vom letzten Festival ist noch gar nicht
richtig aufgeräumt. Das angekündigte und unglaubliche
Line-up des Reggae Jam hat uns förmlich gezwungen, dieses
Festival ebenfalls noch anzusteuern. Eine verpatzte und ins Wasser
gefallene Urlaubsreise, hat die Entscheidung dafür frei
gemacht.
Wir sind mächtig gespannt, ob all die Vorankündigen
wirklich eintreten. Das Staraufgebot ist gewaltig und ganz nach unserem
Geschmack. Die Running Order ließ zwar mächtig lange
auf sich warten, was uns doch ein wenig verunsicherte, aber kurz vor
Festivalbeginn war es dann soweit. Es sind fast alle versprochenen
Künstler aufgestellt und mit Tarrus Riley ist sogar noch ein
erhebliches Pfund dazu gekommen.
Als wir am frühen Nachmittag in Bersenbrück
eintreffen, ist kaum zu merken, dass hier am nächsten Tag ein
großes Festival starten soll. Nur wenige Camper sind momentan
mit ihrem Gepäck auf den Straßen unterwegs. Aber die
Ruhe täuscht. Im Rhythmus der eintreffenden
öffentlichen Verkehrsmittel füllen sich zeitweise die
Straßen. Einige Anwohner sitzen in Grüppchen auf den
Balkonen um das Treiben zu verfolgen. Wir suchen das Büro der
CULTTOUR agentur, das sich um die Organisation des Festivals
kümmert, um erst einmal unsere Bändchen abzuholen.
Dann geht es weiter zum Campinggelände, welches sich
überwiegend zwischen dem Flüsschen Hase und der
Neuenkirchener Straße befindet. Auch im Bereich des
Bersenbrücker Gymnasiums, südlich des Hase, gibt es
noch Zeltplätze. Der Aufbau unseres Zeltes hat jetzt erst
einmal Vorrang. Erheblich erleichtert wird die Sache dadurch, dass man
hier sein Auto neben dem Zelt stehenlassen kann. Anders als z. B. beim
Summerjam, entfällt für die Besucher die
kräftezehrende Schlepperei der Ausrüstung. Wir
benutzen die Zufahrt über die Neuenkirchener Straße.
Links und rechts des Hastruper Weges stehen uns zwei Stoppelfelder als
Campinggrund zur Auswahl. Wir nehmen das Südfeld, da uns
dieses ein wenig grüner erscheint. Wir sind
überrascht. Es gibt noch riesige Freiflächen und die
Sorge um einen geeigneten Zeltstandort ist hier
überflüssig. Mit Markierungsband gekennzeichnete und
abgetrennte Fahrspuren umgeben und durchtrennen das Gelände.
Nur ein paar wenige kleine Mülltonnen stehen neben den
Fahrspuren. Hoffentlich funktioniert die Sache mit dem
Müllpfand, sonst wird es eng mit den kleinen 60-Liter-Tonnen.
Die Toiletten erscheinen uns auch zahlenmäßig etwas
zu gering aufgestellt. Das Wetter sieht etwas unbeständig aus
und wir müssen uns mit dem Zeltaufbau beeilen. Schon kurz
vorher hat uns auf der Autobahn ein kräftiger Wolkenbruch
heimgesucht. Der Untergrund ist sehr weich. Das Stangengerüst
unseres Zeltes versinkt beim Spannen des Überzeltes im Acker.
Auch die Heringe sind überwiegend nur Alibi. Sturm
möchte nicht aufkommen. Beim nächsten Mal
müssen wir mit ein paar extralangen Heringen und Lastverteiler
unter den Stangen vorsorgen. Da man hier nichts schleppen muss, kann
man ja die Ausrüstung noch aufstocken. Pünktlich zur
Zelteinweihung gibt es dann tatsächlich noch eine Dusche von
oben, die aber zum Glück nicht lange anhält. So haben
wir noch Zeit das Umfeld zu erkunden. Aus jeder Ecke hören wir
nur guten Reggae. Das ist wirklich auffallend. Keine Spur von
unpassender Musik wie anderenorts. Partycamper mit anderen
Musikvorlieben gibt es offenbar bisher tatsächlich nicht. Nach
und nach füllt sich der Acker mit Zelten, aber am Abend gibt
es immer noch genügend freie Flächen, besonders auf
dem Nordfeld und im nördlichen Bereich des Südfeldes.
Mit einem Gemisch aus Reggae und brummenden Notstromaggregaten im Ohr,
geht es in die erste Nacht.
Freitag
– 30.07.2010
Die Anreise ist weiterhin im vollen Gange. Platz ist aber immer noch
genügend. Da das Festival erst am Abend beginnt, ist auch
heute noch ausreichend Zeit für die Anreise. Wir tun es heute
den Einheimischen gleich und verfolgen entspannt das weitere Geschehen.
Viel Zeit für ausgedehnte Spaziergänge übers
Campinggelände und eine erste Inspektion des Festivalplatzes.







Die Größe des Platzes überrascht uns dann
doch ein wenig. Hier sollen wirklich 12.000 Leute draufpassen? Das kann
man sich kaum vorstellen. Zwei Bühnen stehen unmittelbar
nebeneinander. So wird es zwischen den Auftritten keine Pausen geben.
Während auf der einen Bühne das Programm
läuft, kann währenddessen auf der anderen
Bühne umgebaut werden. Eine gute Idee. So muss auch kein
Besucher etwas verpassen, da man stets beide Bühnen im Auge
behalten kann und sich nichts überschneidet.
Überall wird noch fleißig gewerkelt und aufgebaut.
Die letzten Sicherheitssperren werden gesetzt, Kabel werden vergraben
und die Bühnentechnik installiert. Das Gelände ist
bespickt mit unzähligen Transportkisten, und es kommen immer
mehr dazu.


Auch die Händler stecken noch mittendrin im Aufbau ihrer
Stände. Selbst am späten Nachmittag und kurz vor
Einlass der ersten Besucher, kämpft der eine oder andere
Händler noch mit der Einordnung seiner Waren. Die
Bühnentechnik ist inzwischen fertig und Cornadoor mit dem
Soundcheck beschäftigt.
Etwas später ist es dann endlich soweit und das
Festivalgelände öffnet seine Tore.
Instant
Vibes, ein
neunköpfiges Team aus Bayern, ist die erste Band auf der
Hauptbühne. Gegründet haben sie sich im Jahr 2007 und
konnten in diesem Jahr sogar den Endausscheid des „German
Reggae Band Contest“ für sich entscheiden. Ihr
heutiger Auftritt auf der Hauptbühne ist der erste Preis
für diesen Sieg.
Wir lassen es langsam angehen, verfolgen den Auftritt weitestgehend aus
der Ferne und informieren uns erst einmal zum weiteren Programmablauf.
Es gibt tatsächlich ein paar Änderungen. Ausgefallen
ist zum Glück keiner der Artists, nur der zeitliche Ablauf hat
sich etwas verschoben. Fantan Mojah, der ursprünglich als
Headliner die letzte Show des ersten Abends geben sollte, wurde auf
20:00 Uhr vorverlegt. Ursache war ein kurzfristiges Booking
für einen Auftritt in Trinidad. Da er eher weg muss, um noch
seinen Flug in Luxemburg zu erreichen, war diese Umstellung
nötig geworden.


Cornadoor ist
als Nächster an der Reihe. Cornadoor stammt aus Bielefeld,
wurde am 13. September 1981 geboren und ist ein Newcomer der letzten
Jahre. Seine Bühnenpremiere hatte er 2008 beim Summerjam und
hier in Bersenbrück. Dieses Jahr ist er auf nahezu allen
hiesigen Festivals zu erleben. Seit Juli ist auch sein Debutalbum
„Without Restrictions“ auf dem Markt.
Höhepunkt seiner Show ist für mich nach wie vor der
Tune „This One“ – ein richtiger Ohrwurm.
Da Cornadoor erst am Anfang seiner Karriere steht, wird er hoffentlich
die Massive mit noch viel Material dieser Art überraschen.



Dann wieder Bühnenschwenk. Von oben müsste man das
einmal sehen. Die Massive bewegt sich wieder langsam in Richtung
Hauptbühne. Schön ruhig und ohne Drängelei.
Das geht nur hier in Bersenbrück mit den Roots Fans. Zareb und
die House of
Riddim Band schließen nahtlos an. Zareb
der bürgerlich Ranford Mc Curdy heißt und
früher als Mr. Flash auftrat, ist schon fast fester
Programmbestandteil bei Fantan Mojah geworden. Seit seinem gelungenen
Debutalbum „Authentic Love“, welches mit der
Unterstützung von Pow
Pow Productions entstanden ist, hat sich Zareb einen
wichtigen Meilenstein gesetzt.

Als
dann Fantan
Mojah, für
die Massive noch unsichtbar, zu einem langsam gesäuselten
Intro ansetzt und dann schließlich voller Energie mit seinem
Rucksack auf die Bühne stürmt, schnellt die Stimmung
abrupt in die Höhe. Fantan Mojah hat das Festival sofort voll
im Griff. Egal ob nachgemachtes Löwengebrüll, das
Zeigen der Löwenpranke oder nur das Mitsingen von Fantan
verlangt wird, das Echo ist ihm immer gewiss. Fantan Mojah, der
bürgerlich Owen Moncrieffe heißt, wurde am
05.08.1976 geboren und stammt genau wie Zareb aus Jamaika. Seit Fantans
2005-er Debütalbum „Hail The King“ im
Modern-Roots Sektor einschlug wie eine Bombe, ist er stetig auf
Erfolgskurs. Als Live Act ist er stets ein Garant für eine
ausgezeichnete Performance und einer jubelnden Massive. Nackte Haut
wird heute Abend nicht gezeigt. Sein Bauch bleibt dieses Mal gut
verhüllt bis er die Bühne wieder verlässt.
Es soll ja ganz bestimmt auch nicht zur
Regelmäßigkeit werden.




Hinter der Bühne ist inzwischen auch schon Lutan Fyah
eingetroffen. Endlich klappt es, dass wir uns einmal wiedertreffen
können. Es liegt schon ein paar Jahre zurück, als wir
uns kennengelernt haben. Ich habe ihm auch ein paar Bilder vom
diesjährigen Summerjam mitgebracht. Lutan lacht und freut sich
gewaltig, als er die Bilder mit den offenen Dreads sieht.
„Das sind die ersten Bilder, die ich davon sehe!“,
ist er regelrecht begeistert und schreibt mir seine Adresse auf. Dann
entdeckt mich Fantan, der mich auch schon vor der Bühne
ausgemacht hatte und will zu meinem Erstaunen als erstes wissen:
„Where is your daughter?“ Er ist nahezu
entrüstet, weil ich heute allein hier stehe. Ja leider hat es
mit dem Urlaub nicht geklappt, aber wenigstens kann ich mit einem Foto
vom letzten Treffen dienen. Schnell noch ein Autogramm als
„entschädigendes“ Mitbringsel, ein paar
eilige Fotos und dann geht es wieder vor die Bühne. Immerhin
gibt es so gut wie keine Pausen und Red Dragon hat schon mit seiner
Vorstellung begonnen.


Red Dragon der bürgerlich Leroy May
heißt, ist der Bruder von Flourgon, der noch für
Sonntag auf dem Programm steht. Bekannt ist Red Dragon als Dancehall DJ
und kommt ebenfalls aus Jamaika. Einen Link zu Red Dragon kann ich
nicht anbieten. Man findet kaum ausführliche Informationen
über ihn, mal abgesehen von seiner Discography und dem Album
„Bun Them“.
Das wäre mal eine Idee für ein ausführliches
Interview. Wer hat nur ein paar Infos zu diesem Mann?
Red Dragon als Soundsystemshow nach einem Fantan Mojah, war
natürlich nicht gewollt und etwas wie ein
Rückwärtsgang im Stimmungsbarometer der Massive.


Mit dem nachfolgenden Lutan
Fyah aus
Jamaika und der Dub
Akom Band aus
Frankreich, geht es wieder zurück zum Modern Roots Reggae.
Anthony Martin, wie Lutan bürgerlich heißt, ist
Jahrgang 1975. Vor vielleicht etwa 6 Jahren gehörte er noch zu
den weniger bekannten Artists. Inzwischen hat er ein gewaltiges
Repertoire an Hits im Petto und ist aus keiner Plattensammlung mehr
wegzudenken. Er steht nun unbestritten mit an der Spitze der besten
Roots Reggae Artists. Seine beeindruckende und unverwechselbare Stimme
kommt mal äußerst kräftig und dann wieder
sehr melodisch daher. Die Riddims dafür sind gut
ausgewählt – er hat ja auch genug gevoiced. Das geht
an keinem spurlos vorbei. Die Massive ist wieder auf dem
Höhepunkt angelangt. Für mich ist er ganz klar das
zweite Highlight des Abends.


Und nun bitte wieder einen Linksschwenk
zur „House of Riddim Stage“, wie die
Hauptbühne während des Festivals immer wieder
bezeichnet wird. „Die am härtesten arbeitende Reggae
Band“, wie sie Ganjaman nennt, tritt nun gemeinsam mit Pad
Anthony auf. Ja wenn man eine der
meist gefragten Backing Bands ist, bleibt das nicht aus. „The
Original Jammys Singer“ Pad Anthony, heißt
bürgerlich Hartley Anthony Wallace und kommt aus Jamaika.
„Forever Mine“, „Conference
Table“ und viele andere Stücke, sind ganz nach dem
Geschmack der Massive.

Dieser etwas ruhigere Programmteil des Abends wird dann von einem
kraftvoll agierenden Jah
Mason auf
der Spezialbühne abgelöst. Als Backing Band ist wie
bei Lutan Fyah wieder die Dub
Akom Band aus Frankreich am Start.
Die Massive schwenkt langsam zurück zur rechten
Bühne. André Johnson alias Jah Mason, kam um das
Jahr 1973 in Jamaika auf die Welt. 1991 brachte er seine erste Single
mit „Selassie I Call We“ heraus. Das erste Album
„Keep Your Joy“ folgte 2002. International bekannt
wurde er allerdings erst um das Jahr 2004 herum. Seit dieser Zeit ist
sein musikalisches Schaffen enorm, und er kann auf einen respektablen
Fundus an Hits für seine Show zurück greifen.
Mindestens 17 Alben sind es inzwischen geworden. Auch Jah Mason hat
seine Massive voll in Griff. Als er dann zum Ende der Show seinen
Nummer-1-Hit „Princess Gone“ anstimmt,
lässt er sich feiern und die Massive übernimmt mit
tausendfachem Chor. Dieses Mal ist es auch nicht das letzte
Stück, und es gibt sogar noch ein paar weitere Tunes. Bei den
letzten beiden Konzerten, die ich dieses Jahr gesehen habe, war
„Princess Gone“ nämlich immer das Finale.


Dann geht es wieder zurück zur Hauptbühne. Die House
of Riddim Band ist erneut am Start und präsentiert dieses Mal Elijah
Prophet. Devon St.
Patrick Hoggart alias Elijah Prophet, wurde am 19. Oktober 1973 in
Westmoreland auf Jamaika geboren. Beim Start seiner musikalischen
Kariere waren ihm Garnett Silk und Utan Green als Mentoren behilflich.
1991 machte er seine ersten Bühnenerfahrungen. Aber erst 5
Jahre später begann seine richtige musikalische Laufbahn und
die ersten Hits wie „I Can See Them“,
„War A Gwaan“ und „Burn Down The Walls Of
Babylon“ kamen auf dem Markt. Doch erst im Jahr 2006 kam sein
sehr gelungenes Debutalbum „King Of Kings" mit Hilfe von Pow
Pow Production heraus. „One And
All“, „Back For Good“, „Small
World“, „King Of Kings“, „Put
People First“ und andere Hits sind darauf zu hören.
Eine schöne Zusammenstellung vieler fantastischer Riddims.


Auf der Spezialbühne geht es dann nahtlos weiter mit Louie
Culture. Lewin Brown alias Louie
Culture wurde 1968 in Jamaika geboren. Seine ersten Aufnahmen machte er
1986 in King Tubbys Studio, aber erst 1994 gelang ihm mit
„Gangalee“ der Durchbruch. Wir haben
großes Glück ihn heute hier zu sehen. Eine
Schießerei zweier
Gunman in Priestman's River von Portland in Jamaika, im
Frühjahr dieses Jahres, hätte ihn durchaus das Leben
kosten können. Zum Glück wurde er aber nur am rechten
Arm verwundet. Es bleibt zu hoffen, dass sich derartige Ereignisse
nicht wiederholen und Louie Culture noch lange weiter an seinem
Hitkatalog basteln kann.



Zum Abschluss des Abends, gibt es dann Dr. Ring Ding auf
der „House of Riddim
Stage“, allerdings nicht mit House of Riddim sondern mit The
Sharp Axe Band (http://www.myspace.com/sharpaxeband). Dr. Ring Ding
a.k.a. Prof. Richie Senior, bürgerlich Richard Alexander Jung,
kommt aus Münster in Deutschland und wurde am 02.06.1970
geboren. Neben Reggae liegt sein Schwerpunkt bei Ska und Dub. Immerhin
hat er seine musikalische Bühnenlaufbahn 1987 auch in einer
deutschen Ska Band namens El Bosso & die Ping Pongs, als
Spieler der Posaune, begonnen. Dort begann sich seine Liebe zur
jamaikanischen Musik zu entwickeln.
Sein größter Hit dürfte aber nach wie vor
„Doctor´s Darling“ sein, der hier
natürlich auch nicht fehlen darf. „Daran werde ich
wohl nicht vorbeikommen!“, sagte er mir einmal, als ich ihn
vor einer seiner Shows fragte, ob er den Tune auch spielt. Der Riddim
dazu stammt aus der Soundschmiede von Seeed und wurde bereits von
vielen namhaften Artists wie Michael Rose, Luciano, Capleton, Anthony B
und anderen gevoiced. Man kann sich kaum entscheiden, welcher Tune der
bessere ist. Der Riddim allein ist bereits ein Highlight. Es sollte
jedermann die One-Riddim-Compilation mit dem Namen
„Doctor´s Darling“ aus der Reihe
„Riddim Driven“ in seiner Sammlung haben. Dr. Ring
Ding ist für Spaß zu haben und so ist auch seine
Devise des Abends: „Wir wollen doch etwas Spaß
zusammen haben!“ Und das natürlich bis der Arzt der
kommt. „Call Di Doctor!“

Inzwischen ist es 3:00 Uhr
am frühen Morgen geworden und wir begeben uns langsam in
Richtung Zelt. Als wir über die Brücke des Hastruper
Weges kommen, empfangen uns neue Klänge. Neben den diversen
Zelt- und Ständepartys ist natürlich das
Dancehallzelt vorrangiges Anlaufziel.
Angekündigt sind Sounds wie Soundquake,
Silly
Walks, Sentinel,
Barney
Millah, Warriorsound,
Sheriff`s
Soundpatrol, Outernational
Sounds, Blessed
Love und Universal
Strugglaz. Wer wann seinen Part hat wissen
wir leider nicht. Einen entsprechenden Flyer haben wir auch nicht
gesehen. Vielleicht gibt´s den ja auch nur am Zelt. Da wir zu
Beginn der heutigen Bühnenshows aber wieder fit sein wollen,
werden wir lieber versuchen, eine Mütze Schlaf zu fassen.
Immerhin steht uns ein sage und schreibe 14
Stunden-Bühnenprogramm bevor, das es in sich hat.
Leider gestaltet sich die Nachtruhe als ein schier unmögliches
Unterfangen. Ein Stück neben unserem Zelt hat sich doch noch
eine Partyklique etabliert, die die völlig falsche Musik und
auch noch übermäßig laut spielt. Inzwischen
ist es schon lange hell geworden aber die Jungs geben immer noch nicht
auf. Dann auf einmal Totenstille. Entweder hat der Player den Geist
aufgegeben oder der Alk zeigt bei denen endlich seine Wirkung.
Sonnabend
– 31.07.2010
Nach vielleicht ein bis zwei Stunden Schlaf, schäle ich mich
wie gerädert aus dem Zelt. An anderen Stellen des Feldes kommt
auch wieder Bewegung in die Zelte und ein Player nach dem anderen nimmt
erneut seine Arbeit auf. Jetzt allerdings mit der richtigen Musik und
nicht so laut. Unsere Ruhepause ist aber trotzdem Geschichte.
Heute geht es schon gegen 13:00 Uhr zum Festivalgelände.
Für diese Zeit ist Ganjaman´s
Frühstücksshow angekündigt. Mit dabei wird Uwe Banton sein.
„Ganjaman und Helfer servieren wie versprochen
Frühstück vom Feinsten!“, so steht es auf
der Rückseite des Running Order Flyers.

Wie soll das nur
funktionieren? Da wird doch sicher nur ein Gag herauskommen, vermuten
wir. Die Massen sind jedenfalls gespannt und strömen in
großer Anzahl in Richtung Festivalgelände.
Hintergrund ist ein Versprechen von Ganjaman aus dem letzten Jahr, als
er hier als erster auftreten musste. „Wenn ich 2010 wieder um
diese Zeit auftreten soll, dann gibt es aber
Frühstück für Alle!“, so in etwa
sinngemäß die Geschichte dazu. Ob es damals schon
wirklich ernst gemeint war, mag dahingestellt sein. Tatsache ist, dass
es nun tatsächlich eingetreten und der Programmpunkt ein
wirklich geschickter Schachzug ist. Die Wirkung sehen wir, als wir auf
dem Gelände eintreffen. Es ist einfach unglaublich. Der Platz
im Klosterpark ist proppevoll, als würde gleich der Headliner
des Tages auf die Bühne kommen. Das gab es noch nie. Ein
voller Platz beim ersten Act des Tages. Und tatsächlich - auf
beiden Bühnen stehen Tische, und es werden fleißig
Brote geschmiert. Das Versprechen wird wortwörtlich umgesetzt.
Immer wieder neue Tabletts werden gefüllt und durch die
Massive nach hinten gereicht. Kaffee wird auch noch dazu ausgeschenkt.



„Vielleicht kommen wir ja ins Guinness Buch der Rekorde als
weltgrößtes gemeinsames
Frühstück!“, freut sich Ganjaman
über den gelungenen Auftakt des zweiten Festivaltages. Er
bedankt sich bei allen, die dieses Frühstück
ermöglichten und eine Zutat beigetragen haben. Die Massive ist
hervorragend drauf und Ganjaman beginnt mit „Nur
einmal“ seinen musikalischen Part. Und wer spielt als Backing
Band? Wer schon – die House of Riddim Band!
Währenddessen geht es mit der
Frühstücksversorgung von beiden Bühnen
weiter. Der beste „Frühschoppen“, den ich
je
erlebt habe.
Später dann kommen Uwe Banton und seine
Backgroundsängerin Oge noch
dazu. Die House of Riddim Band wird aber immer noch nicht entlastet und
die Butterbrotschmierer ebenfalls nicht. Die Tabletts wandern weiter im
Reggaetakt hin und her, bis hoffentlich auch der Letzte eine Kostprobe
nehmen konnte.


Dann machen wir erst einmal Pause von den Bühnen. Kimoe, der aus
Berlin kommt, erleben wir nur aus der Ferne. Wir möchten auch
noch einmal in Ruhe durchs Gelände und über den Basar
streifen. Da muss man eben irgendwo Abstriche machen. Auch Christian
Massive von den Bahamas müssen wir
verpassen, da uns auf einmal auf dem Basar die Artists von Inna de Yard
Allstars fast in die Arme laufen. Den Moment darf
man sich natürlich nicht entgehen lassen. Ruhig und gelassen
schlendern sie in Richtung Backstage. Earl Chinna
Smith sehen wir zuerst, dann Kiddus I, Cedric Myton
Congo und auch Clinton
Fearon. Das ist ja wie im Reggae Artist Schlaraffenland. So
viele Größen konzentriert auf einem Fleck! Wen
spricht man denn nun als Ersten an? Kaum jemand nimmt Notiz von ihnen
– einfach unglaublich. Im Backstagebereich angekommen ist
erst einmal deren Verpflegung angesagt. Earl steht an der Saftpresse
und lässt sich geschnittene Früchte zureichen, die er
dann zu Saft verarbeitet. Eine lange Prozedur – viel Saft
für Alle. Wir ziehen uns bei einem kühlen Bierchen
etwas zurück und warten bis es vielleicht ein entspanntes
Minütchen bei Inna de Yard gibt. Die Zeit reicht dann aber nur
noch für Cedric, mit dem wir ganz entspannt im angrenzenden
Freibadbereich ein paar Worte wechseln und unsere Alben signieren
lassen können.
Dann fährt die Gruppe leider erst einmal ins Hotel. Gegen
20:00 Uhr wollen sie aber wieder da sein. Also bis dahin erst einmal
auf einen neuen Versuch. Ihr Auftritt ist ja erst für 23:30
Uhr geplant.
Völlig unerwartet kommen dann auch noch zwei alte Bekannte um
die Ecke geschlendert. Es ist Andrew Murphy und Roughhouse. Ein
Auftritt ist nicht geplant. „Nein, wir sind nur so
hier.“, geben sie auf meine Frage zurück. Aber
immerhin, wenn etwas ausfallen würde, könnte man
sicher auf sie zurückgreifen. Sie sind allerdings nicht die
einzigen Artists ohne Auftritt auf dem Festival. Sista Gracy, Anthony
Locks, D Flame und viele andere Künstler lassen sich das
Festival ebenfalls nicht entgehen.

Jetzt geht es zurück zur Bühne. Schon wieder
bearbeitet die House of Riddim Band ihre Instrumente und gibt
für Papa
Michigan die Backing Band. Anthony Fairclough alias
Papa Michigan, kommt aus Jamaika und wurde mit dem Duo Papa Michigan
& General Smiley in der Dancehall bekannt. Sie arbeiteten bis
Mitte der 80-er Jahre zusammen und konnten viele Hits für
sich verbuchen. Inzwischen ist Papa Michigan solo unterwegs und nennt
das Jahr 2009 als sein bisher erfolgreichstes, welches er mit einer
ausgedehnten internationalen Tournee für sein neues Soloalbums
„Love Iz“ ausfüllte. Seine erste Single
daraus war „Barack Obama“.
Daneben arbeitet Papa Michigan aber auch noch als Produzent und
Verleger.


Dann geht es mit Smiley auf
der rechten Bühne weiter. Auch wenn Smiley unmittelbar hinter
Michigan auf der Running Order steht, ist das nicht der angeblich
niemals lachende alte Dancehallpartner von Michigan, sondern ein Artist
aus Holland. Tavis Nedd alias Smiley, wurde 1980 auf der
südkaribischen Insel Aruba geboren, die zu den ABC Inseln
gehört und ein Teil der drei gleichberechtigten
Königreichsteile der Niederlande darstellt. In den
europäischen Teil der Niederlande kam er erst im Jahr 2000 und
arbeitete dort drei Jahre lang mit der Reggaeband „Out Of
Many“ zusammen. Seit 2007 ist er auch in Deutschland bekannt
geworden, als er seinen ersten Auftritt auf der Berliner Popkomm und im
YAAM hatte. 2008 nahm er mit Junior Kelly „Dem A
Wonder“ auf, womit er nun auch international bekannt geworden
sein dürfte. Das Stück darf natürlich hier
in Bersenbrück auch nicht fehlen.





Und nun wieder Bühnenschwenk zu House of Riddim und Super Black.
Super Black ist wiederum ein Artist aus Jamaika. Viel mehr kann man
über seine Biographie leider nicht erfahren. Selbst seine
eigene Website schweigt sich dazu aus. Der Auftritt ist aber ganz gut
und passt ins Konzept. Nur sehr viel Einprägsames und
Mitreißendes kommt bisher nicht bei mir an. So nutzen wir
schon einmal die Zeit um mit Bushman ins
Gespräch zu kommen, der gleich im Anschluss seinen Auftritt
haben wird.

Bushman ist mit seiner Frau angereist, die gleichzeitig das Management
für ihn macht. Sie packt gleich ein paar schöne
Poster zum signieren aus. Als Zugabe bekommen wir auch noch sein
letztes Album „Get It In Your Mind“ aus dem Jahre
2008 geschenkt. Unser letztes persönliches Treffen liegt schon
mächtig lange zurück. Seine Dreads sind inzwischen
erheblich länger geworden. Bushman ist überrascht,
als er die alten Bilder vom Chemnitzer Splash 2003 sieht. Es macht
immer wieder Spaß, wenn man paar alte Sachen hervorkramen
kann.


Wie bringen wir nur die kostbaren Poster heil durch den Tag? Ein paar
Pappkartons aus der Küche helfen. Wir basteln eine extra
stabile Mappe und die Bilder sind erst einmal in Sicherheit.
Dwight Duncan, alias Bushman, wurde 1973 in St. Thomas, Jamaika,
geboren und begann bereits während der Schulzeit seine
musikalische Laufbahn. Wie bei so vielen anderen Artists, war
Schulchor, Schulband, Kirchenchor usw., das frühe Fundament
seiner nachfolgenden Karriere.
Den größten Einfluss auf seine musikalische
Entwicklung hatten laut Bushman Artists wie Bob Marley, Dennis Brown
und Luciano. Wobei Lucinao den größten Einfluss
hatte. Das hat sich offenbar sogar auf seine Stimme ausgewirkt, die oft
Luciano wie zum Verwechseln ähnlich klingt. Aber manchmal kann
er auch wie Peter Tosh klingen und kämpft wie er um die
Legalisierung von Ganja. Die Fortsetzung dieses Kampfes hat inzwischen
auf der Bühne mit einem kalten angedeuteten Joint begonnen.
Peters „Legalize It“ und sein
„Cannabis“ dürfen da natürlich
nicht im Programm fehlen. Nach der Frühstücksshow
erreicht Bushman als erster Artist des Tages das begeisterte
Anfangslevel der Massive, welches ganz sicher mit dem nachfolgenden
Line-up überwiegend gehalten werden wird.



Danach schwenkt die Massive wieder schön gelassen in Richtunge
House of Riddim Stage. Lukie
D ist nun an der Reihe. Lukie D, der
bürgerlich Michael Kennedy heißt, wurde 1972 in
Kingston, Jamaika, geboren. Seine musikalische Karriere begann als
Dancehall-Singer bei verschiedenen lokalen Soundsystems. 1995 kam sein
Debutalbum „Centre Of Attraction" heraus, mit seinem ersten
gleichnamigen Hit. Inzwischen sind schon einige Alben mit wachsendem
Erfolg nachgerückt und Lukie D ist zu einer der
einprägsamsten Singstimmen von Jamaika geworden.
Spätestens seit dem Sommerhit „Just As I
Am“ (Album: „Love Again“ von 2009) mit
der Gruppe L.U.S.T., dürfte er sich in die letzten Herzen
eingesungen haben.
Lukie D macht seinem Ruf alle Ehre und treibt die Massive zu einem
weiteren Stimmungshoch.
Ob Dancehall oder Reggae, Lukie D schafft es alle zu begeistern. Immer
wieder schaut er prüfend zu den auf der Bühne
stehenden Boxen, bis das Sicherheitspersonal ahnt was er vor hat. Also
schnell die Boxen festhalten und Lukie D setzt noch Einen drauf und
peitscht von oben die Stimmung weiter in die Höhe.
„Missing You“, einer seiner dargebotenen Hits, gilt
nach dem Ende seiner Show auch umgekehrt für ihn. Komm bald
wieder Lukie D.



Weiter geht´s mit Tippa Irie und
der Far East
Band auf der rechten Bühne. Anthony Henry alias
Tippa Irie, wurde 1965 in London geboren und ist seit über 25
Jahren ein alter Hase in der britischen Reggae- und Dancehallszene.
Zurzeit arbeitet er mit der hiesigen Far East Band zusammen, die
hauptsächlich als Gentlemans Backing Band bekannt geworden
ist. Ein neues Album ist bereits in Arbeit. Gegenwärtig und
auch hier auf dem Festival gibt es aber eine neue Bandaufstellung. Far
East sieht für mich mehr nach Berliner Feueralarm aus.



Wir schauen uns noch einmal nach den Artists von Inna De Yard um, da
inzwischen die Zeit heran ist, wo sie wieder hier sein wollten. Und
tatsächlich entdecken wir schon einmal Kiddus I auf dem Basar,
der geduldig wartet bis ich meine wohl verpackten Albumcover zum
signieren aus dem Rucksack herausgepult habe. Bei der Masse an Artists
findet man eben nicht so schnell die richtige Vorlage.


Earl und die Anderen können wir aber nirgends entdecken und
kommen gerade zurecht, als Ras Iqulah mit
Giddeon
Force als Backing Band sein Programm startet. Ras
Iqulah kommt aus Jamaika. Iqulah und das eigene Label Mozziah wurden
1985 ins Leben gerufen. Kurz danach brachte er mit seiner Band Giddeon
Force das Debutalbum „Rasta Philosophie“ heraus.
Iqulah bekannt als der Reggae Botschafter, sieht seine Mission darin,
Liebe und Einigkeit an alle vier Enden der Welt zu bringen. Iqulah
steht für Integrity,
Quality,
Unity
and Love
for Africa
as Home. Seine größte Erfüllung sieht er
bisher in seinem Auftritt in Äthiopien, auf dem Maskal Square
von Addis Abeba, vor zirka 80.000 Menschen.
Ras Iqulah zelebriert seine Musik wie in Trance, bestückt mit
einem großen silbernen äthiopischen Kreuz und der
Rastafahne in den Händen. Die hier von Giddeon Force
dargebotene Musik ist kaum zu fassen. Schwerer Roots vom Feinsten, der
süchtig macht. Ich bin hin- und hergerissen, möchte
fliehen vor der extremen Lautstärke der Boxen und kann es aber
nicht. Ras Iqulahs charismatische und nahezu besessene
Bühnenshow und die alles durchdringende Musik von Giddeon
Force lassen mich nicht los.




Die Highlights des Tages bzw. der Nacht gehen mit Morgan Heritage bzw.
mit Peter und Roy „Gramps“ Morgan von Morgan
Heritage weiter. Peetah und
Riese Gramps stehen
hinter der Bühne und warten auf ihren Einsatz. Als es soweit
ist, stürmen noch zusätzlich zwei Leute der Crew
über die Bühne und riegeln den Fotograben beidseitig
der Bühne ab. Gramps und Peetah wollen offenbar keine Kameras
vor der Nase haben. Der Sinn der Maßnahme ist aber eher nicht
zu erkennen. Immerhin ist auch für die Massive jede Art von
Aufnahmegerät oder Kamera erlaubt. Die Beiden sehen sich
deshalb einer ungebrochenen Kameraflut gegenüber, nur dass sie
knapp zwei Meter weiter weg ist. Wir sehen eine Weile dem Programm aus
der Ferne zu. Alle Gäste verfolgen mit Begeisterung die Show.
Dann plötzlich läuft Tarrus Riley mit
übergezogener Kapuze zwischen uns hindurch und verschwindet in
Richtung Buffet oder Basarausgang. Schade, er ist verschwunden und
nirgends mehr zu entdecken. Das hätte jetzt ganz gut gepasst.
Irgendwann sehen dann Peetah und Gramps die Sinnlosigkeit ihres
Unterfangens ein und ziehen ihre Body Guards zurück. Der
Fotograben wird wieder frei gegeben.
Morgan Heritage, wie wir sie heute mit Peetah, Gramps, Una, Mr. Mojo
und Lukes kennen, haben mit Denroy Morgan ihren musikalischen und
leiblichen Vater. Das sind aber nicht die einzigen Kinder der Morgan
Family. Denroy hat es bis auf die stattliche Zahl 30 geschafft, wie
bisher bekannt ist.
Der Start als Band liegt im Zeitraum 1990-1992, wobei Denroys
musikalisches Schaffen schon viel weiter zurück liegt. 1994
kam dann mit „Miracle“ die erste Familienscheibe
auf den Markt. Bis heute hat Morgan Heritage einen Hitkatalog
geschaffen, der sich sehen lassen kann. Hinzu kommen vortreffliche
Compilations mit anderen Artists und ihren jüngeren
Geschwistern von LMS. Viele davon sind zu finden auf der Albumreihe
„Morgan Heritage And Friends“.
Peetah, ist die Hauptsingstimme von Morgan Heritage, aber mit Gramps,
dessen Stimme mich immer wieder ein wenig an Peter Tosh erinnert,
ergibt sich erst die richtig perfekte Mischung. Man merkt gar nicht,
dass die anderen Bandmitglieder fehlen. Peetah lässt aber
keinen Zweifel daran, wer Morgan Heritage wirklich ist und
zählt mehrmals alle Bandmitglieder für die Massive
auf. Trotzdem ist mit den zwei markanten Stimmen von Peetah und Gramps,
kaum ein Unterschied gegenüber der Originalbesetzung zu
hören.


Den nächsten Bühnenwechsel lassen wir erst einmal
ausfallen. Tanto
Metro & Devonte aus Jamaika, mögen
uns verzeihen, aber sie gehören mit ihrem Dancehall-Style
nicht so sehr zu unserem bevorzugten Beuteschema. Es ist aber gut, dass
dieser Programmpunkt nun folgt. So können wir eine
Bühnenpause einlegen und verpassen andere, für uns
wichtige Leute nicht. Wir starten lieber noch einen Versuch die
Artists von Inna De Yard zu treffen. Und wir dürfen. Earl
bittet uns in das Zelt der Truppe. Alle sind nun komplett beisammen. Am
Nachmittag noch in lockerer und bunter schön anzusehender
Freizeitkleidung, haben nun alle einen Jogging Anzug von Adidas an. Wir
sind froh, dass wir wenigstens schon Cedric und Kiddus vorher getroffen
haben, um jetzt hier nicht all zu lange stören zu
müssen. Earl klimpert ein wenig auf seiner Gitarre herum und
die restlichen Musiker sitzen still und meditierend um einen runden
Tisch herum.
Diese Atmosphäre löst ganz automatisch gesteigerte
Zurückhaltung aus. Man möchte am liebsten nur
flüstern. Jeder Artist ist dann aber sehr entgegenkommend und
freundlich, wenn er denn einmal angesprochen ist. Für ein
Gruppenfoto sind sie aber nicht zu begeistern und vom Tisch
wegzubekommen. „Du kannst uns alle fotografieren wie wir hier
sitzen.“, meint Cedric dazu und schwenkt
majestätisch seinen Arm über die Runde. Ein
ordentliches Bild ergibt sich daraus zwar nicht, aber wir sind schon so
hoch geehrt und zufrieden, dass wir überhaupt in das Zelt
eingeladen worden sind.



Inzwischen wird auch gerade der offizielle Interviewtermin mit Morgan
Heritage abgestimmt. Das passt natürlich perfekt und wir
können uns gleich mit daran beteiligen. Gramps und Peetah sind
sehr verschieden. Während Peetah aufmerksam, freundlich und
aufgeschlossen ist, scheint Gramps sich lieber in
Zurückhaltung und Verschlossenheit zu üben. Es hat
für mich den Eindruck, als wären solche Termine nicht
gerade seine Welt. Immer wieder wendet er sich sofort ab, nachdem eine
Frage beantwortet oder ein Bild gemacht worden ist. Zwischendurch
angelt er nach meinem Backstagepass und liest die Aufschrift noch
einmal laut vor, obwohl ich mich schon eingangs vorgestellt
hatte. Zum
Glück sind unsere Anliegen eher geringfügig und nicht
so kompliziert. Die Mauer, die Gramps vor sich aufbaut, immer wieder
von neuem zu durchbrechen, wäre auch auf Dauer eher nicht so
angenehm.



Dann geht´s zum nächsten Highlight. Inna De Yard
Allstars sind schon auf der Bühne. Die
typischen Klänge der Rastamusik mit den diversen Drums sind
weithin zu vernehmen. Inna De Yard Allstars vereinigt eine Reihe von
großen Roots Reggae Künstlern aus den 70-er Jahren
und neue Talente aus der jamaikanischen Reggae-Szene, die gemeinsam in
teils unterschiedlicher Besetzung auf Tour gehen. Sie
präsentieren ursprünglichen Reggae wie er in den
Yards von Jamaika entstand. Die Idee dazu stammt vom Reggae-Label Makasound,
die auch die Akustik Album-Reihe „Inna De Yard“ ins
Leben gerufen haben. Auch zur Tour gibt es bereits ein
diesjähriges Album „Inna de Yard - Live In
France“, welches zusätzlich noch eine DVD
enthält. Man muss das Teil ganz einfach haben.
Ein beeindruckendes Klangerlebnis. Immer wieder kommt ein neuer Artist
nach vorne und leistet seinen Part. Matthew McAnuff mit „Be
Careful“, Kiddus I mit „No Salvation“ und
seinem Klassiker „Graduation In Zion“ (im Film
„Rockers“ zu sehen) und natürlich Cedric
Myton Congo unter Anderem mit dem Megahit
„Fisherman“. Earl Chinna Smith, Clinton Fearon und
Derajah agieren von ihrem Platz aus. Die Massive ist endlos begeistert.
„Ihr seid geil Jungs!!“, schreit ein jugendlicher
Fan völlig entzückt zu den Koryphäen auf der
Bühne hinauf und reißt die Arme in die
Höhe. Das Konzert könnte endlos weiter gehen. The
Viceroys, Linval Thompson und Junior Murvin, die auch noch zum Konzept
gehören, sind hier leider nicht dabei. Endlos schade, dass
dann auch noch die Zeit zu knapp wird. Das Programm ist etwas
kürzer als angedacht. Eine Zugabe kann es leider nicht geben.
Ganjaman erklärt der Massive, dass der Programmablauf schon
ein Stück in Verzug ist. Das absolute Ende um 3:00 Uhr darf
nicht überschritten werden.







Viel Zeit zum Trauern gibt es allerdings nicht. Auf der linken
Bühne ist Tarrus
Riley angesagt, der erst in den letzten Wochen dem Line-up
des Reggae Jam hinzugefügt worden ist. Die perfekte
Ergänzung. Die Eindrücke des Tages sind kaum noch zu
verarbeiten. Man fällt von einem
Glücksgefühl in das nächste.
Omar Riley, wie Tarrus richtig heißt, kommt aus Jamaika und
ist der Sohn des Sängers Jimmy Riley. Geboren wurde er
allerdings 1979 in den USA. Für seine musikalische Entwicklung
ist überwiegend Dean Fraser zu danken, der heute auch mit
seinem Saxophone am Start ist und die Show gemeinsam mit der Black Soil
Band eröffnet. Im Jahr 2004 brachte Tarrus sein Debutalbum
„Challenges“ heraus. 2006 folgte
„Parables“ und im Jahr 2009 das hoch gelobte Album
„Contagious“. Hits wie „She´s
Royal“, „Living The Life Of A Gun“,
„Love´s Cantagious” oder auch
„Stop Watch“, sind die größten
Renner seines bisherigen Schaffens, die jeden Reggae Fan vom Hocker
reißen. Und so ist auch seine Show. Die Massive ist hin und
weg. Zum Ende der Show gibt es aber leider einige Probleme. Die Stimme
von Tarrus ist kaum noch zu hören. Obwohl die Technik auf der
Bühne mehrmals nicht zu verkennende Zeichen aus der Massive
und aus dem Fotograben bekommt, können sie das Problem nicht
abstellen. Leider gibt es auch hier wegen des bisher eingetretenen
Zeitverzuges keine Zugabe.



Mit dem letzten Act des „Tages“ geht es wieder
zurück zu den Wurzeln des Reggae. Immerhin wird zu Toots & The
Maytals 68-er Song „Do The
Reggae“ überwiegend die Meinung vertreten, dass dies
die Geburt des Begriffs „Reggae“ gewesen sei.
Andere wiederum sehen in den Maytals sogar die Erfinder des Reggaes
überhaupt, wovon auch Toots selbst überzeugt ist.
Die Band kommt aus Jamaika und gründete sich im Jahre 1962,
damals noch unter dem Namen „The Vikings. Toots´
Discography hat es bis heute auf über 55 Scheiben geschafft
und der Mann ist immer noch voller Energie für neue
Veröffentlichungen. Auch auf der Bühne zeigt er keine
Müdigkeit und rockt die Fans ohne Ende, die trotz des langen
Programms auch noch nichts an Vitalität
eingebüßt haben. Die Musik macht´s eben
möglich. Zwischendurch dann etwas Troubel, der nicht
durchschaubar ist. Der Bühnenmanager lässt den
Backstagezugang und den Fotograben sperren. Irgendwo hat es offenbar
Ärger gegeben. Mitbekommen haben wir aber nichts, was konkret
vorgefallen ist. Der Sicherheitsdienst erkennt jedenfalls nun keine
Pässe mehr an, außer die der Artists.
„Pomps And Pride“, „Take Me Home
– Country Roads“ und „54-46 Was My
Number“ sind die Hits, die sich der Massive am meisten
eingeprägt haben dürften. Und weil es so viel
Spaß macht, gibt´s auch hier „One
Times“, „Two Times“, „Three
Times“, … „Ten Times“ und gar
„Eleven Times“. Die Massive grölt mit und
verzählt sich natürlich bei der letzten Ansage.
Irgendeiner tritt eben immer daneben. Toots lacht. Als er dann beginnt,
die auf der Bühne für die Artists bereit gestellten
Wasserflaschen einzusammeln, ist klar, jetzt ist das Ende der Show
gekommen. Einige Flaschen wirft er in die Massive und eine leert er zur
Abkühlung über die nahestehenden Fans aus.


Nach der Show möchten wir noch einmal kurz zu Toots. Mit
seinem Management hatten wir das bereits abgestimmt. Trotzdem ist es
nicht leicht dies umzusetzen. Als wir schließlich zu ihm
dürfen, ist Toots mit
seiner persönlichen Assistentin Donna Wellington und einem
weiteren Besucher allein im Zelt. Die Band ist nicht mehr da. Toots
freut sich über die mitgebrachten Bilder und bittet uns, sie
ihm noch einmal zu schicken. Mein Signierstift gefällt ihm
dafür aber gar nicht. „Give me another
pen!“, ruft er Donna zu sich, die noch etwas
unschlüssig schaut. Toots möchte einen richtig dicken
Stift, der nicht viele Worte auf dem Foto zulässt. Dick und
fett prangt jetzt „from Toots“ auf den Bildern und
für ein neues Erinnerungsfoto wird wieder wie gewohnt die
undurchdringliche Sonnenbrille aufgesetzt.

Was haben wir denn nun heute alles gesehen und was war das absolute
Highlight? Es ist ja kaum zu fassen. Ohne Running Order fällt
einem auf die Schnelle gar nicht jeder Artist ein. 14 Stunden
Bühnenprogramm, von dem man über 50 % der Artists als
persönliche Highlights verbuchen kann – da
fällt es schwer eine gerechte Entscheidung zu treffen. Ich
kann es nicht.
Wir pilgern wieder in Richtung Stoppelfeld und wollen noch einmal einen
Blick ins Dancehall-Zelt werfen. Davor ist eine Sicherheitsschleuse
installiert und die Festivalbändchen werden kontrolliert.
Zumindest wird es versucht, soweit es mit den Taschenlampen und in dem
Gedränge umsetzbar ist. Aber so muss das sein. Auch das ist
ein Beitrag dafür ungebetene Partygäste fernzuhalten.
Die Klimascheide am Eingang des Zeltes hält uns dann aber ab
weiter ins Innere vorzudringen. Auch Vido steht noch
unschlüssig im Eingangsbereich. Aber es ist sowieso kaum an
ein Durchkommen zu denken. So ersparen wir uns die schwüle
Hitze des riesigen Zeltes und suchen lieber unser eigenes auf. Mit ein
paar Hieben aus der „Bottle of Rum“ und einigen
Gedenkminuten vor dem Zelt, lasse ich den Tag Revue passieren. Sofort
schlafen geht jetzt sowieso nicht.
Sonntag
– 01.08.2010
Der Rum hat tatsächlich seine Wirkung getan. Von dem
nächtlichen und frühmorgendlichen Lärm bin
ich dieses Mal verschont geblieben. Erst kurz vor 10 starte ich nahezu
ausgeschlafen in den Morgen.
Da bleibt gar nicht mehr viel Zeit bis zum Start der Festivalendrunde.



Heute geht es mit 12:00 Uhr auch noch eine Stunde eher los als gestern.
Das Ende des Bühnenprogramms ist für 23:00 Uhr
angesetzt.
Wir sind nicht ganz pünktlich auf dem Gelände, aber
immer noch zeitig genug, um einen Eindruck von LionTeeth zu
bekommen. LionTeeth stammt aus Bersenbrück und Umgebung und
ist schon zum vierten Mal mit dabei.


Wir lassen es langsam angehen, wie die meisten anderen Festivalbesucher
auch. Den massiven Andrang wie bei Ganjamans gestriger
Frühstücksshow gibt es heute noch nicht. Aber das
wird noch kommen, denn es stehen mit Nature, U-Roy, John Holt, Steel
Pulse und Anderen wieder einige Highlights auf dem Programm.
Änderungen sind keine vorgesehen.
Nach LionTeeth steht Vido
Jelashe aus Berlin auf dem Programm. Vido Jelashe
oder Norman Mbutuma, heißt bürgerlich Vuyani Mbutuma
und wurde 1967 in Kapstadt / Südafrika geboren.
Seine musikalische Laufbahn begann im Jahr 1986 bei Reggaebands wie
Reggae Regulars und The Black Sufferers. 1992 hat Vido erfolgreich in
Kapstadt ein Jazz-Studium absolviert und wirkte als Sänger bei
den Heavy Fantastics mit. 1993 kam er dann auf Veranlassung der
deutschen Reggaeband Livin´ Spirits nach Deutschland, machte
gemeinsame Aufnahmen und tourte mit ihnen durch Europa.
Seit 1996 ist er in Berlin und arbeitet an anderen Projekten.
Spätestens seit seinem Tune „Babylon A Take
Control“ auf dem Superior Riddim von Pow Pow Productions,
dürfte er größere Bekanntheit erlangt
haben. Heute ist er gemeinsam mit dem Berliner Barney Millah als
Soundsystemshow angetreten. Vido hat mit Teba Shumba,
der ebenfalls aus Kapstadt kommt, noch einen Gastsänger
mitgebracht. Bekannt geworden dürfte Teba Shumba hierzulande
erstmals mit dem African Dope Soundsystem geworden sein, aus dem auch
Vidos Cousin Black Dillinger hervorgegangen ist.
Sehr leicht haben es die Beiden nicht. Die Massive ist noch
träge und weit im Gelände verstreut. Man kann es sich
jetzt noch leisten mit einem Bierchen auf der Wiese zu sitzen und ganz
entspannt das Programm zu verfolgen.




Vor dem nächsten Auftritt dann von Ganjaman die Bitte:
„Kommt doch ein wenig nach vorn, damit es etwas kuscheliger
wird. Der nächste Artist kommt von weit her und ist extra von
den Bahamas für euch angereist!“ Gemeint ist Landlord,
den ich persönlich zumindest noch nicht kenne. Orlando Miller,
alias Landlord, ist mir mit seiner auffälligen Bartfrisur
schon gestern unter den Leuten aufgefallen und hat auf mich eher den
Eindruck eines Dancehallers gemacht. Was aber nun hier geboten wird,
ist das ganze Gegenteil. Eine echt positive Überraschung.
Schöner sanfter und melodischer Reggae, der vielleicht dem
einen oder anderen schon etwas zu soft klingen dürfte. Mit
meiner Vermutung lag ich also völlig daneben. Landlord
möge mir verzeihen. Ganjaman legt die entsprechenden Riddims
auf und Nashan Johnson von Christian Massive ist als
Backgroundsängerin eingesetzt. Schade, dass sie nicht weiter
vorn steht, sie geht optisch ein wenig unter. Dafür
glänzt sie gesanglich umso mehr. Es ist eine Freude ihr
zuzusehen, wie sie in ihrem Gesang voll aufgeht. Abdelali "Abdul"
Mourid (Percussion bei House of Riddim) sitzt ebenfalls begeistert im
Fotograben. „Die sind gut Mann!“, nickt er mehrfach
anerkennend. „Do you feel the music?“, fragt
Landlord in die Massive und die rückt immer weiter zusammen
und zollt Respekt. Wirklich durchgängig schöne Musik
für Jedermann. Kent Johnson (Christian Massive) ist
während der gesamten Show mit der Kamera unterwegs um Landlord
und seine Frau Nashan bei ihrem Auftritt im Bild festzuhalten.
Zwischendurch hat er dann auch noch einen Gastauftritt bei Landlord. So
kommen wir doch noch zu einem Eindruck von Christian Massive, den wir
gestern verpasst hatten. „Wollt ihr noch mehr
Landlord?!“, fragt Ganjaman am Ende der Show. Ja wir wollen,
und es geht noch ein Weilchen weiter.




Ich gratuliere Landlord und Nashan nach der Show für den
gelungenen Auftritt. „Warum stehst du nicht weiter
vorn?“, möchte ich von Nashan wissen. Sie zuckt mit
den Schultern, schaut Landlord schüchtern und
lächelnd von der Seite an und sagt: „Das ist seine
Entscheidung.“ „Das wäre aber besser
für die Show.“, ergänze ich. Nashan freut
sich und Kent gibt mir Recht. Letztendlich nickt auch Landlord
zustimmend und alle freuen sich gemeinsam. Landlord möchte mir
noch sein Album mit auf den Weg geben, kann aber trotz ausgiebiger
Suche keines mehr in seiner Reisetasche entdecken. Alle sind leider
schon verteilt. „Ich habe noch ein paar im Hotel und werde
für dich eines dem Sheriff geben.“, verspricht er
mir. Dafür gibt mir aber Kent das Album „Di
Hook“ von Christian Massive mit auf dem Weg.

Weiter geht es auf der House of Riddim Stage mit Nature.
Andre Ellis, alias Nature, kommt aus Jamaika, wurde am 13.09.1984
geboren und ist damit ein noch junger aufgehender Stern am Reggae
Firmament. Nach Ras Shiloh, Jamelody und Anderen ein weiterer Star in
dem die Stimme von Garnett Silk weiter lebt. Bereits im Alter von 9
Jahren entdeckte Nature sein Gesangstalent und trat das erste Mal
öffentlich auf. Aber erst im Jahr 2002 erkannte er seine
Berufung für Reggae und arbeitet sich seit dem kontinuierlich
nach oben. Nature überzeugt die Massive völlig. Er
versteht es perfekt, wie man sich in Szene setzen kann. Nahezu besessen
und fast an der Grenze zu Weinkrämpfen, singt und spielt
Nature seine Tunes dem Publikum vor. Selbst wenn er mit der Massive
spricht, wird dies in seinem eigenen Gesangstil vorgetragen.
„Kann ich etwas Wasser trinken?“, singt er von der
Bühne setzt die Flasche an, und macht selbst dies zum Teil
seiner Show. Nature hat ganz sicher eine vielversprechende Zukunft vor
sich. Mit seinem Tune „Falling In Love Again“, auf
Pow Pows „Respond“ Riddim, werden ihn die meisten
schon einmal gehört haben. Ich bin gespannt auf seine
kommenden Alben. Zum Ende seines Programms stellt Nature die einzelnen
Bandmitglieder von House of Riddim vor und setzt dies perfekt in Szene.
Am Keyboard spielt er sogar selbst ein paar Töne mit. Es hat
den Anschein, als würde er dazu seine Dreadlocks benutzen
– oder ist es der Ellenbogen? So genau ist das nicht zu
erkennen. Die Hände nimmt er jedenfalls nicht dazu.






Dann geht es auf der rechten Bühne mit Horace
Martin und der Horace Martin Band weiter. Horace
Martin kommt aus Jamaika und ist seit über 30 Jahren auf dem
Roots Reggae Sektor im Geschäft. Ganz in weiß kommt
er auf die Bühne. Seinen Gürtel mit der silbernen
Schnalle, die mit weißen Glitzersteinen und einem
großen „H“ versehen ist, hat er nicht
zugemacht. Während der Show macht ihm das öfter
Probleme, aber er will es offenbar so, denn er schließt den
Gürtel trotzdem nicht. Obwohl Horace einen relativ ernsten
Eindruck macht und eher nicht zum Lachen kommt, ist er auch zu einigen
Späßen aufgelegt und lässt in seiner
Choreographie keine Langeweile aufkommen. „You love
pictures!? Take me!!“, ruft er zu Eljer in den Fotograben und
wirft sich auf einer der Boxen in die richtige Pose. Wie erwartet
brilliert Horace Martin mit einem sehr schönen rootsigen
Programm. Auch die Band hat den perfekten Sound drauf und spielt alle
Töne die man zu dieser Musik so hören will. Im
Hintergrund der Bühne steht Indifrica,
ein Artist aus French Guyana der zurzeit in Rotterdam lebt, und
schwenkt voller Begeisterung seine Rasta-Fahne. Ich muss mir unbedingt
zu Horace Martin noch paar Alben besorgen.





Nächster Act ist Flourgon auf
der House of Riddim Stage.
Michael May, wie Flourgon bürgerlich heißt, ist der
Bruder von Red Dragon, der schon am Freitag auf der Bühne
stand. Flourgons Programm geht mehr in Richtung Dancehall was uns
wieder eine Bühnenpause ermöglicht. Ein paar
teilweise rootsige Nummern sind zwar auch dabei, aber das
überzeugt meinen Geschmack noch nicht so richtig. Ich nutze
lieber die Zeit, um Horace Martin und seiner Band einen Besuch
abzustatten und etwas übers Festivalgelände zu
schlendern.





Dabei treffe ich auch Sista
Gracy, die mit ihrer Familie das Festival verfolgt. Sie hat
beim 1. German Reggae Grammy 2005, gleichberechtigt neben Zoe und
Lilian Gold einen Award in der Kategorie „Reggae
Queens“ gewonnen. Ihr letztes Album
„Yardy“ ist von 2007. Neben vielen gutem Material,
ist für mich der Tune „Shining Star“ mit
Dr. Ring Ding, der Knaller des Albums. Wann es ein neues Album geben
wird kann sie momentan leider noch nicht sagen.


Inzwischen geht es schon mit Mad Cobra und
der Berliner Feueralarm
Band auf der rechten Bühne weiter. Die
böse oder tollwütige Schlange namens Cobra
heißt im wahren Leben Ewart Everton Brown und wurde am
31.03.1968 in Jamaika geboren. Die Cobra speit im Dancehall Style in
die etwas locker stehende und überwiegend skeptisch
dreinblickende Massive und hat für alle zur Warnung den
Totenkopf mit den gekreuzten Knochen auf der Brust, anfangs sogar noch
eine Totenkopfmaske übers Gesicht gezogen. Ich bin nicht der
richtige Mann, um mich über seine Musik
äußern zu können. Die Mehrheit der Besucher
offenbar auch nicht, da sich die Begeisterung in Grenzen hält.
Aber die Schlange ist schlau, merkt das und spielt zwischendurch sogar
ein Stück von Bob Marley, um das überwiegend auf
Roots eingestellte Publikum doch noch auf seine Seite ziehen zu
können.




Mit Admiral Tibet und man ahnt es schon, der House of Riddim Band, geht
es in die nächste Runde, und es gibt wieder mehr positive
Lyrics. Die House of Riddim Band hat damit ihren zwölften und
letzten Auftritt. Es ist schon unglaublich, was die Band hier geleistet
hat und bei den verschiedensten Artists umsetzen musste. Es wird
vielleicht nicht ganz einfach gewesen sein, all die unterschiedlichen
Riddims und Styles einzuüben. Es klang bisher alles perfekt.
Es gibt offenbar nichts, was die Band nicht beherrscht.
Kenneth Allen, alias Admiral
Tibet wurde 1960 in Jamaika geboren und machte 1985
seine ersten Aufnahmen bei Produzent Sherman Clacher. Sein Debutalbum
„Come Into The Light“ wurde von King Jammy
produziert und 1987 veröffentlicht. Das bisher letzte Album
mit dem Titel „Running From Reality“, ist aus dem
Jahr 2006. Admiral Tibets Auftritt wird wieder besser von der Massive
angenommen und die Lücken vor der Bühne
füllen sich zusehends. Das Stimmungsbarometer klettert nach
oben. Abdul an den Percussion wird eine Zeit lang von Sheriff
begleitet, und dann kommt auch noch einmal Lukie D auf die
Bühne um Admiral Tibet tatkräftig zu
unterstützen. So schnell sieht man sich wieder.






Mit U-Roy gibt´s
dann auf der rechten Bühne wieder ein absolutes Higlight
für Augen und Ohren. Ewart Beckfort, alias U-Roy, wurde am
21.09.1942 in Jamaika geboren und gilt als der „Father Of
Deejaying“. Seine Karriere als DJ begann er bereits im Jahr
1961 und ist damit schon knapp 50 Jahre im Geschäft und eine
wahre lebende Legende. Seit 1969 begann U-Roy auch eigene Aufnahmen zu
machen.
Inzwischen sind 17 Alben auf dem Markt und eine Vielzahl von
Compilations.
U-Roy zeigt der Massive von Bersenbrück, dass er immer noch
nicht zum alten Eisen gehört und bringt all die Hits, die man
von ihm hören möchte. Einfach nur große
Klasse! Besonders herausragend sind Stücke wie „OK
Fred“, „Soul Rebel“ und viele Andere in
diesem Style. Auch mit seinem edlen Outfit zeigt er wieder einmal
Spitzenklasse. Er trägt eine Kombination aus weißer
Stoffhose mit akkurater Bügelfalte und einem hellblauen
Jackett. Dazu einen weißen Hut und hellblaue Schuhe die
seinesgleichen suchen. Wenn U-Roy nicht öfter sein Taschentuch
bemühen müsste, könnte man glatt denken,
dass der Auftritt für ihn überhaupt keine Anstrengung
bedeutet. Seine Garderobe bleibt bis zum Ende makellos.




Dann wieder alle Mann nach links zur anderen Bühne und der
nächsten Legende. John Holt wird
angekündigt. Zum ersten Mal in Deutschland und in Europa
überhaupt, so die Ansage. Auch für uns ist es das
erste Mal, dass wir ihn live zu Gesicht bekommen. John Holt wurde am
11.07.1947 auf Jamaika geboren und begann bereits im Alter von 12
Jahren sich als Sänger und Songschreiber zu profilieren. 1963
nahm er seine erste Single „I Cried A Tear“
für Leslie Kong auf. Richtig bekannt wurde John Holt aber erst
in seiner Zeit als Leadsänger bei den Paragons, von 1965-1970.
Danach begann er seine Solokarriere und wurde Anfang der 70-er einer
der größten Reggae Stars von Jamaika. Sein Hit
„Stick By Me“ war die am meisten verkaufte Scheibe
von 1972 in Jamaika. Inzwischen hat seine Discography eine stattliche
Länge erreicht, bei der man kaum noch einen genauen
Überblick behalten kann. Viele seiner Hits wurden von anderen
Sängern gecovert und keiner ahnt wo das eigentlich wirklich
herkommt. Welcher Blondie Fan weiß z. B. schon, dass
„The Tide Is High“ eigentlich von John Holt und den
Paragons stammt, wo schon die jüngeren Atomic Kitten Fans
nicht
einmal die Vorreiterin Blondie kennen.
John Holt präsentiert langsameren und sehr melodischen Reggae
und wird deshalb auch als Vorreiter des Lovers-Rock gehandelt, der auch
in den 70-er Jahren in England entstand.
„Help Me Make It Through The Night“,
„I´d Love You To Want Me“ und
„Homely Girl”, um nur einige seiner Stücke
zu nennen, verführen zum träumen und schunkeln in der
Massive. „The Tide Is High“ und „Stick By
Me“ dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Zwischendurch fragt John Holt sogar das Publikum, was er denn singen
soll. So etwas gibt es selten. Viele der Fans, besonders die erfahrenen
Semester, sind überaus begeistert von seinem Auftritt. Richtig
punkten bei allen, tut er aber mit seinem 1983-er Hit „Police
In Helicopter“, mit dem er auch heute wieder richtig aktuell
und erneut bekannt geworden ist. Die im Jahr 2007 neu zusammengestellte
One-Riddim-Scheibe „Police In Helicopter Rhythm“,
mit diversen Interpreten, ist dazu die richtige Verlängerung.





Bevor es in die Endrunde geht, versuchen wir noch einen Backstagetermin
bei John Holt zu bekommen. So richtig lustig wird es, als ich ein altes
Albumcover zum signieren hervorziehe, wo John Holt noch mit ganz kurzen
Haaren zu sehen ist. Sofort machen sich alle anderen Bandmitglieder
darüber her und machen ihre Späße. Wir
freuen uns, John Holt einmal kurz persönlich kennengelernt zu
haben.


Dann setzt Steel
Pulse zum Endspiel des Festivals an. Viel verpasst
haben wir nicht. Es war zum Glück eine kurze Pause. Ein
seltenes Ereignis auf dem Festival. Steel Pulse kommt aus
Großbritannien und gründete sich 1975 in Handsworth
Wood bei Birmingham. Mit David „Dread“ Hinds und
Selwyn „Bumbo“ Brown sind auch noch zwei
Gründungsmitglieder mit am Start, von denen besonders David
Dread mit seinen gewaltigen Dreads das Antlitz der Band prägt.
1978 kam ihr Debütalbum „Handsworth
Revolution“ heraus, das wohl den bis heute
eingängigsten und bekanntesten gleichnamigen Titel
enthält. Eine Erfolgsstory begann und wurde im Folgejahr mit
dem zweiten Album „Tribute To The Martyrs“
fortgesetzt. Steel Pulse entwickelte sich zu einer der erfolgreichsten
Reggaebands in England. Inzwischen gibt es über 20 Alben und
Compilations auf dem Markt. Dieses Jahr kann Steel Pulse bereits ihr
35-jähriges Bühnenjubiläum feiern. Das
Reggae Jam geht nun leider zur Neige und Steel Pulse
überspielt sogar zur Freude der Fans das
„Curfew“, was heute Abend immerhin auch nicht den
Zusatz „Strictly“ hat.





Aber alles hat einmal ein Ende. Sheriff kommt auf die Bühne
und bedankt sich für den friedlichen Ablauf des Festivals.
Weiterhin ist ihm in diesem Zusammenhang besonders wichtig, der Opfer
der diesjährigen Loveparade zu gedenken. „Habt ihr
noch etwas Zeit? Denn ich möchte euch noch ein paar Leute
vorstellen.“, fährt er später fort. Sheriff
möchte allen danken, die bei der Organisation und
Durchführung des Festivals mitgewirkt haben. „Ich
habe mir dieses Jahr extra eine Liste gemacht, damit ich nicht wie
voriges Jahr hier herum stammele.“, zeigt Sheriff ein
vollgeschriebenes Blatt Papier. Es folgt eine lange Dankesrede. Soweit
die Leute schon von ihrer Arbeit abkömmlich sind, ruft er
einen nach dem anderen auf die Bühne und stellt sie vor.
Manche zieren sich und möchten nicht ins Rampenlicht. Die
lange Aufzählung sämtlicher Leute und
Tätigkeiten macht vielen erst deutlich, was in so einem Event
für Arbeit steckt. Besonders gelobt wird auch der Mann vom
Bersenbrücker Ordnungsamt. Sheriff und er haben sich
gegenseitig wohl besonders ins Herz geschlossen und beschenken sich mit
Pfefferkuchenherzen, die die Aufschrift „I Love
You“ tragen. „Jeder Artist hat von uns auch so ein
Herz bekommen, um ihnen zu zeigen, dass wir sie und ihre Musik
lieben.“, erzählt Sheriff. „Und das letzte
Herz ist für euch.“ Er wirft das Herz weit in die
Massive hinein und es entschwindet in der Dunkelheit der hinteren
Reihen.





Ein fantastisches Festival ist zu Ende gegangen. Vielen Dank Sheriff
und deinem Team!
Bevor wir das Gelände verlassen, müssen sich die
Ereignisse des Tages aber noch ein wenig setzen.
Steel Pulse hält sich auch noch im Backstagebereich auf und
posiert gerne für ein paar Schnappschüsse. Unsere
letzten Fotovorlagen bekommen ihr Signum und dann heißt es
Abschied nehmen.



Am Dancehallzelt ist heute zum Glück Ruhe. Man hat sich etwas
gedacht dabei. So wird es morgen wenigstens nicht so viel
übernächtigte Camper geben und die Abreise ein wenig
sicherer verlaufen.
Umfangreiche Kontrollen auf den Straßen sind schon einmal
angekündigt. Soweit wir es in der Finsternis erkennen
können, fehlen schon jetzt eine ganze Reihe von Zelten.
Montag
– 02.08.2010
Schön ruhig ist der Morgen und ausgeschlafen sind wir auch.
Das Gelände lichtet sich zusehends und der Müll auf
den freien Flächen hält sich tatsächlich in
Grenzen. Der Müllpfand zeigt erfreulicher Weise seine Wirkung.
Da fahren Autos behangen mit Müllsäcken an den
Außenspiegeln in Richtung Annahmestelle. Andere wiederum
sitzen auf der
Motorhaube, halten die Säcke persönlich fest und
machen einen Gaudi daraus. Das arme Auto – nur nicht
nachahmen! Die Leergutsammler haben auch schon
Hochkonjunktur. Hier sind sie allerdings nicht ganz so erfolgreich,
wegen der vielen Autos, deren Besitzer ihre Pfandflaschen
natürlich wieder mitnehmen.
Das Fernsehteam ist auch schon wieder auf den Beinen, steht mit D
Flame an den Müllcontainern und verfolgt das Prozedere. Ich
bin schon gespannt auf die Festivaldokumentation die dabei herauskommen
wird. Musikalisch wird das ganz sicher der Knaller. Es können
ja kaum die falschen Bands auf dem Film sein, weil die ja hier gar
nicht vertreten waren.








Wir machen uns nun endgültig auf die Heimreise und unsere
nächste Urlaubsreise planen wir ganz sicher so, dass sie sich
nicht mit dem Reggae Jam überschneidet. Wenn es so bleibt, wie
es ist, kommen wir mit Sicherheit wieder her.
Copyright:
Text und Fotos by Reggaestory |