RAT
RACE - BOB MARLEY BIRTHDAY BASH
06.02.2015 - Weltecho Chemnitz
70 Jahre liegt es zurück, als der
spätere King des Reggae das Licht der Welt erblickte.
Inzwischen ist es schon wieder über 30 Jahre her, dass uns Bob
Marley viel zu früh und auf äußerst
tragische Weise verlassen hat. Unsterblich ist aber seine Musik
geblieben und klingt heute noch, als hätte sie gerade frisch
das Studio verlassen. Bob Marley war und ist immer noch Jamaikas
größter musikalischer Exportschlager.
Das Wirtschaftsmagazin
Forbes ermittelte Bob Marley im Jahr 2014, mit zirka 20 Millionen
US-Dollar Jahreseinkommen, auf Platz 5 unter den
Top-Verdienern verstorbener Berühmtheiten. In
Sachsens Chemnitz hat sich nun mit RAT RACE eine neue Band formiert, um
das Erbe Bob Marleys weiter zu pflegen.
Die Idee
zu RAT RACE wurde bereits im Jahre 2014 geboren. Der Bandname bezieht
sich auf den gleichnamigen
sozialkritischen Song aus dem Album "Rastaman Vibration" aus 1976,
welches Bob Marley zum Weltstar machte. Es sollte eine reine
BOB MARLEY - Tributeband entstehen.
Eigene Songs werden nicht auf dem Programm stehen. Der Name Bob Marley
ist Programm genug. Es soll nur den Songs aus
dem Repertoire von Bob Marley & The Wailers Respekt
gezollt werden. Päbstlicher als der Pabst will man dabei
natürlich nicht sein und gar nicht erst versuchen ein
identisches Abbild zu schaffen. Mit Freude am gemeinsamen und
spontanen Musizieren, will man die Vorlagen von Bob Marley mit neuen
Elementen vermengen und dabei einen eigenen Stil kreieren. Trotzdem ist
eine große Portion Mut und Talent erforderlich, wenn man sich
an Songs eines Künstlers heranwagt, der ein solch
großes und bisher unerreichtes musikalisches Erbe, wie der
legendäre Bob Marley hinterlassen hat. Mut kann man sich
nehmen, Talent aber nicht. Aber auch damit hat Rat Race keine Probleme.
Die Musiker haben bereits langjährige Erfahrungen in anderen
musikalischen Projekten, die sogar soweit gehen, dass man vor der
großen
Premiere zum 70. Geburtstag des Altmeisters, nicht einmal eine Probe
für nötig hielt. Man fand sich lediglich einen Tag
vorher, in der Dresdener Groovestation, zu einer Vorpremiere mit einer
Minimalbesetzung zusammen.
In voller Besetzung tritt die Band wie folgt an:
DreadEye (vocals),
Katrin Turinsky (background vocals),
Josefine Möbius (background vocals),
Agneta Hösel (background vocals),
Marius Leicht (hammond organ),
Johannes Hautop (guitar),
Ludwig Hausmann (saxophone),
Michael Sambale (trombone),
Lukas Schürer (trumpet),
Bodo Martin (bass),
Toni Müller (drums),
Nino Richter (percussion) und
Frau B. (live sound).
12 Künstler und eine Technikerin, wenn das nicht reinhaut, was
dann!?
Wir fahren am 06.02.2015 nach Chemnitz zur richtigen Bandpremiere und
somit genau zum 70. Geburtstag des Großmeisters. Einen
besseren Termin zur Premiere einer Bob Marley Tributeband, kann es wohl
kaum geben.
Wir sind schon eher da und treffen die Band inmitten ihrer
Aufbauarbeiten und zum Soundcheck an. Für mich hört
sich das Geschehen wirklich alles noch sehr unerprobt und
ausbaufähig an. Wie soll es auch anders sein, zu einer
Premiere ohne richtige Probe? Bodo Martin, alias Mister Crazy Hair, in
Eigenschaft des Managers und Bassist der Band, sortiert und verteilt gerade die Setlists. "Wir mussten einen großen Teil
der
Titel streichen. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was gestern in
Dresden los war. Durch unsere unerprobte Show und den Einbau vieler
spontaner Soloeinlagen, waren wir schon bei zwei Stunden Spielzeit
angelangt und
hatten die Setlist erst zur Hälfte abgearbeitet." Er zeigt mir
die Listen, die nun stark zusammengestrichen sind. Bodo schreibt mir noch
schnell ´ne Kopie, die schließlich bei Track 18
endet. Es ist eine reine Bob Marley Setlist.
"Und ihr wollt wirklich auch in Zukunft ausschließlich Bob
Marley Stücke und kein eigenes Material spielen? Wird denn das
langfristig funktionieren?", will ich von Bodo wissen. "Ja klar.
Absolut nichts anderes! Von einer Bob Marley Tributeband wird auch
nichts anderes erwartet. Ich mache mir keine Sorgen, ob das
funktioniert oder nicht. Aber ich denke schon. Mit meiner anderen Band "Bandana",
spielen wir schon seit 2001 fast ausschließlich die Musik von
Johnny Cash, und es funktioniert auch. Wir sind damit schon in
Tschechien, der Schweiz, in Österreich, Frankreich und anderen
Ländern, teilweise sogar in ausverkauften Häusern
aufgetreten.", meint Bodo überzeugt von dem neuen Projekt.
Rat Race
beim Soundcheck im Weltecho Chemnitz
Zum Soundcheck und heutigen Abend hat man aber immer noch nicht alle
Musiker zusammenbringen können. Katrin, die dritte
Backgroundsängerin, weilt gerade in Indien, und so
müssen die "I-Threes" zwangsläufig als "I-Twos"
auftreten. Dann hat sich auch noch Lukas kürzlich das
rechte Handgelenk gebrochen, was zum Verlust des Trompeteneinsatzes
führt. Aber die Bühne ist trotzdem schon mit den
anwesenden Musikern überlastet. Keyboarder Marius und Drummer
Toni müssen sich nahezu unsichtbar hinter den vor der
Bühne
stehenden Säulen platzieren, um überhaupt irgendwo
Platz zu finden.
Schließlich ist alles vorbereitet und der Einlass in den
kleinen Saal und Café des Weltechos kann beginnen. Mit Alt
und Jung, vom
Schüler bis zum Rentner, ist das Publikum heute bunt gemischt
vertreten. Alle sind gekommen um Bob Marleys Geburtstag zu feiern. Wer
da auf der Bühne spielt, war für die Entscheidung
vielleicht erst einmal nebensächlich. Rat Race wird erst nach
der Show in Chemnitz einen Namen haben. Der Dresdener Auftritt
dürfte sich in 24 Stunden kaum herumgesprochen haben. Urteilt
selbst am Ende dieses Berichtes.
Die Band beginnt mit "Precious World" und "Positive Vibration". Bei der
zweiten Nummer beginnt DreadEye mit seinem Einsatz.
DreadEye am
Gesang, Marius am Keyboard und Nino an den Percussion
Live
Video: Rat
Race
- 1/9 - Positive Vibration + Trenchtown Rock
Wer jetzt eine Bob Marley ähnliche Stimme oder Erscheinung
erwartet hat, wird vielleicht erst einmal wenig Begeisterung zeigen.
Aber darum geht es auch nicht, das ist sowieso nicht zu erreichen.
Davon darf man sich nicht beeinflussen lassen.
Einfach von diesem Gedanken
verabschieden und Musik und Gesang unvoreingenommen aufnehmen.
Agneta,
Josefine + DreadEye (Gesang) und Bodo am Bass
Es folgt "Get Up Stand Up" und gleich danach mit "Rat Race" der
Namensgeber der Band. In dieser Zeit hat die Band erheblich zugelegt,
klingt deutlich besser und DreadEye performt, als hätte er
bisher noch nichts anderes gemacht. Inzwischen hat sich sicherlich auch
jederman an das Spektrum seiner Stimme gewöhnt, die er immer
wieder in verschiedenen Tonlagen präsentiert.
Live
Video: Rat
Race - 2/9 - Rat Race
Das war doch wirklich gut, oder? Gehen wir deshalb gleich weiter zu
"War", dem nächsten Stück auf der Setlist.
Live
Video: Rat
Race - 3/9 - War
DreadEye läuft mit seiner Interpretation von "War" wirklich
zur Höchstform auf. Im Gesamtkonzept mit der Band, klingt
dieses Stück bis hierher am besten.
Toni an
den Drums,
Bodo am Bass, Michael an der Posaune und Nino an den Percussion
Als nächste Aktion des Abends erschießen wir erst
einmal mit fettem Sound den Sheriff. ;-)
Live
Video: Rat
Race - 4/9 - I Shot The Sheriff
Nun steht "Exodus" auf dem Plan, auch für die Filmerei. Ich
lege erst einmal ´ne Pause ein. Wir wollen ja für
ein nächstes Mal auch noch etwas übrig lassen.
Bodo am Bass
und Johannes an der Gitarre
Dann folgt "Iron Lion Zion". Die Band ist mit dem Ergebnis nicht ganz
glücklich. Warum eigentlich? Alle jubeln und das ganz
besonders bei Ludwigs Einsatz am Saxophone. Das können wir nun
wirklich nicht weglassen. Einverstanden? Wer hier meckert, soll das
erst
einmal ohne Probe nachmachen. Sch... auf die paar Patzer, das passiert
ganz anderen Leuten, die das Stück dann ganz sicher mit
mehreren Pull-Ups
abwürgen würden.
Live
Video: Rat
Race - 5/9 - Iron Lion Zion
War doch klasse oder?
Weiter geht´s mit "Is This Love".
Live
Video: Rat
Race - 6/9 - Is This Love
Danach will DreadEye mit dem größten
Missverständnis aller Zeiten aufräumen und
erklärt warum
"No Woman No Cry" natürlich nicht "Keine Frau kein
Ärger heißt". Agneta beginnt mit ihrem Einsatz - das
Publikum ist begeistert. Johannes mit seinem Solo an der Gitarre
richtig gut, ach was, der ganze Sound der Band ist hier richtig perfekt.
Live
Video: Rat
Race - 7/9 - No Woman No Cry
Nächstes Stück der Setlist ist "Slave Queen", bevor
es
mit "Steppin´ Out Of Babylon" und nur mit den
Mädels, in die nächste Runde geht. DreadEye erholt
sich derweil für den danach folgenden Höhepunkt und
Bodo hat dazwischen ein Küsschen für ein
erfrischendes Fiedler nötig.
Live
Video: Rat
Race - 8/9 - Steppin´ Out Of Babylon
Dann gibt´s "Natural Mystic" auf die Ohren. DreadEye singt
mit drei verschiedenen Stimmen. Insgesamt ist die Auslegung des
Stückes ein kleines Meisterwerk und erweckt in mir den
Eindruck als sei hier "Natural Mystic" nicht "in the air" sondern "on
the wall". Hört´s euch an, und ich glaube, ihr
werdet
merken was ich meine.
Live
Video: Rat
Race - 9/9 - Natural Mystic
Mannomann - Respekt! Wenn jetzt noch DreadEyes Stimme streckenweise
etwas kräftiger werden könnte, was für die
meisten
Stücke gilt, wäre das noch ein deutlicher
Qualitätssprung nach oben.
Vorerst letztes Stück der Show ist
schließlich "One Love", bevor es zur obligatorischen
Verbeugung der Band kommt und in die kurze Pause geht.
Warum tritt
eigentlich Keyboarder Marius barfuß auf?
Rat Race und das Publikum sind sichtbar zufrieden mit
der Premiere. Da wird natürlich noch ein Zugabenblock
hinterher geschoben. Es geht wieder weiter mit "Them Belly Full".
Als vorletzter Titel des heutigen Abends steht "Lively Up Yourself" auf
dem Programm.
Dann das unwiderruflich letzte Stück des Abends. Was
könnte da besser passen als der "Redemption Song". DreadEye
bekommt einen Hocker, mit dem er gar nicht gerechnet hat und
schließlich von Bodo die Akustik Gitarre gereicht. Ohne die
geht es natürlich nicht.
DreadEye
beim "Redemption Song"
Das war doch wirklich eine schöne Geburtstagsparty zu Ehren
von Bob Marley´s 70. Geburtstag! Im Nachhinein stelle ich mir
auch die Frage, wer eigentlich sonst noch, ein derartiges Event
präsentiert hat? Nicht einmal bei den angesagten Reggae
Clubs des Landes, noch anderenorts, konnte man zu Bob
Marley´s
Geburtstag fündig werden. Von daher wird es wirklich Zeit,
dass es eine Band wie Rat Race gibt, die sich dem Thema angenommen hat.
Die Party ist aber noch nicht aufgelöst. DreadEye hat
inzwischen den Platz an seinem Soundsystem eingenommen und setzt die
Unterhaltung mit feinstem Reggae aus der Konserve fort.
DreadEye am
Soundsystem
Zum Abschluss des Berichtes hier noch ein Interview mit dem
Sänger der Band, denn wer bisher zu DreadEye etwas erfahren
möchte, tappt bis zum Tage noch relativ im Dunklen. Das
ändert sich jetzt gewaltig. DreadEye analysiert jede Frage von
allen Seiten, holt zu umfangreichen Antworten aus, mit denen man gar
nicht gerechnet hat, so dass einem fast der Kopf schwirrt. An dem Mann
scheint ein Philosoph verloren gegangen zu sein.
Reggaestory.de:
Hallo DreadEye wie bist du mit der heutigen Premiere der Band zufrieden? DreadEye:
Insgesamt können wir sehr zufrieden sein.
Das war tatsächlich das erste Mal, dass wir in voller
Besetzung gespielt haben und von daher gibt es natürlich noch
ein paar Details, an denen wir arbeiten müssen.
In erster Linie betrifft das für mich die Kommunikation durch
die Musik. Wenn ich mit so vielen Akteuren zusammen auf einer
Bühne stehe, versuche ich immer einen
„Draht“ zu jedem Einzelnen zu bekommen und das dann
in ein Gesamt(klang)bild zu fügen. So präsentieren
sich dann nicht etwa zehn Musiker, die für sich auf der
Bühne spielen, sondern EINE Band.
Gestern haben wir vergleichsweise nur mit der Rhythmus-Sektion in
Dresden, beim Bob Marley Birthday Bashment, in der Groove Station
gespielt. Dort stellte sich sehr schnell ein
„Flow-Gefühl“ ein, bei dem wir uns
teilweise mit kurzen Blicken, aber manchmal auch im wahrsten Sinne des
Wortes blind und nur durch die Musik, das heißt durch die
Handhabung unserer Instrumente, verständigt haben.
Ähnlich wie heute haben wir uns aus reduziert gespielten
Passagen zu einem Crescendo gespielt, bei dem ich beispielsweise
Impulse vom Drummer (Toni) mit meinen Lyrics akzentuieren und an den
Pianisten (Marius) oder den Gitarristen (Johannes) weitergeben konnte,
woraus ein höchst komplexes musikalisches und kommunikatives
Moment entstand. Das sind für mich die sogenannten
„magischen Momente“ auf der Bühne oder
beim Musizieren überhaupt. Ein perfekter Auftritt ist dann
für mich, wenn sich diese Momente durch das ganze Set ziehen
und dieser Funke sich auf die (nur scheinbar passiven) Zuhörer
überträgt. Denn im Gegensatz zu beispielsweise einem
Theaterstück, bei dem die „vierte Wand“
zum Publikum wesentlich schwerer zu durchbrechen ist, bietet sich in
der Musik die Möglichkeit, durch diese „magischen
Momente“ das Publikum einzubeziehen. Das ist dann
für mich auch das Besondere an LIVE-Auftritten:
Häufig wird immer davon gesprochen, die Band hat gut gespielt
oder Ähnliches, aber das Publikum ist es, dass den
entscheidenden Faktor zu einem Auftritt fügt. Eine gute Band
vermag es, durch musikalische Offenheit eine kommunikative Offenheit zu
schaffen, die es jedem erlaubt mit in diese Situationen
„einzustimmen“. So kann das Publikum (im Gegensatz
zu „Nicht-Brecht’schen“
Theaterstücken) entscheidend auf das Bühnengeschehen
zugreifen und die musikalischen Impulse aufnehmen und in Form einer
Stimmung auf die Musiker zurückwerfen. Daraus entsteht ein
Kreislauf, bei dem Musiker und Zuhörer miteinander in Kontakt
treten. Und genau das ist für mich ein wesentlicher Teil der
Message, nicht nur durch Musik von Bob Marley & The Wailers,
offen mit Menschen in Kontakt zu treten. Mit den Worten Jimmy
Cliff’s: „Even if you can’t understand my
language, music is a universal language.” Nach den Auftritten
gestern und heute sind namentlich “fremde” Menschen
spontan auf mich zugekommen, haben mich angesprochen oder schlicht und
wortlos Blickkontakt aufgenommen, gelächelt oder mir ihre Hand
gereicht. Das sagt mir, dass es diese besonderen „magischen
Momente“ gegeben haben muss, und dies stimmt mich wie gesagt,
sehr zufrieden. Reggaestory.de:
Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen eine Bob Marley Tributeband zu
gründen und wie habt ihr euch zusammengefunden? DreadEye:
Ich glaube, wir sind nicht die ersten, die die Idee hatten, Bob Marley
& The Wailers musikalisch Respekt zu zollen. ;-)
In diesem Fall war es aber Bodo „Mr. Family Man“
Martin, der Johannes und mich auf das Projekt angesprochen hat. Der
Mann hat einfach ein besonderes Gespür und einen Blick
für Menschen. Er sagte mir zum Beispiel einmal, dass er das
Projekt nicht gemacht hätte, wenn er nicht ganz bestimmte,
nämlich exakt diese Musiker dafür bekommen
hätte.
Nachdem Johannes und ich einmal mit einem Solo-Projekt einen Warm-Up
Slot für eine seiner damaligen Bands (Offbeat Foundation)
gespielt hatten und er sah, wie wir zusammen auf der Bühne
agierten, hat er mit der Rhythmus-Sektion das Herzstück dieser
Band im wahrsten Sinne des Wortes „handverlesen“.
Persönlich habe ich schon mit vielen Musikern
zusammengearbeitet, häufig mit DJ’s und
Soundsystems, aber auch vielen „klassischen“
Instrumentalisten oder Backing Bands. Normalerweise braucht es immer
eine gewisse Zeit, sich aufeinander einzuspielen, aber, wenn ich auf
gestern und heute schaue, war in dieser Gruppe sprichwörtlich
von der ersten Note an, ein Verständnis für- und
miteinander da.
Um die Frage des Zusammenfindens also pragmatisch zu beantworten:
Über einen kurzen E-Mail-Wechsel.
Aus sozial-kommunikativer Perspektiver gesprochen: Wir haben uns
zusammengefunden, indem wir uns zusammengespielt haben. :-) Reggaestory.de:
Auf der heutigen Setlist standen 18 Titel und 16 davon waren Dein Part.
Gestern war ja die Liste noch zirka doppelt so lang. Wie kann man
eigentlich nahezu aus dem Stand heraus eine neue Band gründen
und schon kurz danach die ganzen Texte von Bob Marley drauf haben? DreadEye:
Kleine Korrektur. Für heute waren ursprünglich
„nur“ 25 Titel geplant. Für gestern hatte
ich eine Setlist mit 13 Titeln vorgeschlagen und dachte, damit
würden wir ca. 1 Stunde spielen. Letztendlich haben wir aber
beinah 100 Minuten gespielt. Da wir mit dem Pianisten, dem Drummer, dem
Gitarristen und dem Saxophonisten einige fantastische Solisten in der
Band haben, die, denke ich, mitunter dazu beitragen können,
dass wir nicht nur einfach Bob Marley & The Wailers kopieren,
sondern auch eine „eigene Note“ hinzufügen
können, gilt es, die richtige Balance zu finden, um jedem
dieser Solisten einen gebührenden Platz zu geben. Entsprechend
hab ich dann die Setlist für heute angepasst, so dass wir auf
ca 2 Stunden Spielzeit kommen.
Aber zurück zu deiner Frage. Die Schnelligkeit im Bezug auf
das Zusammenstellen der Band geht auf Bodo’s Konto, da er,
soweit ich es überblicken kann, über ein Netzwerk
ausgezeichneter Musiker verfügt und einfach weiß,
wer mit wem spielen kann, so dass man möglichst schnell und
effektiv zu Ergebnissen kommt.
Unser musikalischer Leiter Johannes, hat dann in einer kurzen Probe mit
mir die Tonarten festgelegt, so dass zum Beispiel die Bläser
und Backgroundsängerinnen für sich zu Hause
üben konnten. Der Pianist und der Drummer sind diplomierte
Musiker, die in akribischer Kleinarbeit alle Songs für sich
transkribiert haben. Ergo: Ganz so aus dem Stand geschah das Ganze
nicht, da steckt schon eine durchdachte Vorbereitung der einzelnen
Beteiligten dahinter.
Auf mich persönlich bezogen: Die GANZEN Texte von Marley habe
ich natürlich nicht drauf. Das Gesamtwerk von Bob Marley
& The Wailers (inkl. der frühen Solo-Stücke
und der „Wailers“-Zeit mit Bunny und Peter) umfasst
ungefähr ein Dutzend Alben. Dazu kommen noch
unzählige Single-Auskopplungen oder lediglich live performte
Titel. Daher ist es schwer eine genaue Zahl zu benennen. Mir
fällt zum Beispiel immer wieder auf, wenn mal gerade wieder
eine Compilation rauskommt, dass da Titel drauf sind von denen ich noch
nie etwas gehört habe – dies nur am Rande
erwähnt.
Aber ich habe selbstverständlich auch nicht erst zur
Bandgründung die Texte Bob Marley gelernt. Ich
beschäftige mich seit ungefähr 15 Jahren aktiv mit
der Reggae und Dancehall Kultur, aber auch noch mit vielen
anderen Musikstilen, Literaturen und Kulturen. Sieht man mal von
Popstilen, mit den relativ repetitiven Melodien und Themen ab, so
faszinieren mich vor allem Texte und Künstler, die eine
tiefere Aussage verfolgen. Seien es programmatische Bands wie The Doors
oder Songwriter a la Bob Dylan, aber eben auch, wenn wir
ungefähr in dieser musikhistorischen Epoche bleiben, Texte von
Bob Marley, Peter Tosh oder Linton Kwesi Johnson. Ohne
überheblich klingen zu wollen, kann ich wohl sagen, dass ich
ein ganz brauchbares Gedächtnis habe und mir viele Texte aus
verschiedenen musikalischen Genres und Literaturen leicht
einpräge.
Um deine Frage also kurz zu beantworten: Ich kannte vorher schon den
ein oder anderen Text. ;-) Reggaestory.de:
Wer kommt für dich nach Bob Marley und welche
Künstler hörst Du jetzt am liebsten? DreadEye:
Gegenfrage: Beziehst du „nach Bob Marley“
temporär? Beziehungsweise lautet also deine Frage:
„Welchen Reggae und Dancehall Künstler betrachtest
du als stilistischen oder intentionalen Nachfolger von Bob
Marley?“
Worauf ich antworten würde, dass neben seinen Söhnen
wie Ziggy Marley, Damian „Junior Gong“, Ky-Mani
oder auch Stephen diese natürlich genealogisch als direkte
Nachfolger zu betrachten sind. Allerdings ist im Mythos „Bob
Marley“ natürlich mittlerweile weit mehr als nur ein
Stil oder eine Haltung enthalten. Es ist auch eine Marke, ein Label,
welches seinerzeit auf Künstler wie Dennis Brown genauso
übertragen wurde, wie es heute Artists wie Chronixx
angedichtet wird. Meiner Meinung nach nimmt das diesen
Künstlern etwas von ihrem eigenen Stil und überhaupt
ist es schwer ein Phänomen wie es mitunter durch Bob Marley
entstanden ist, zu kopieren. Auch im Kontext dieser Tribute Band kommt
es mir weniger darauf an, Bob Marley zu imitieren. Viele seiner Texte
haben mich zum Nachdenken angeregt und zu eigenen Aussagen gebracht,
die ich dann auch im Live-Kontext, wenn es passt, mit
einfließen lasse. So habe ich zum Beispiel die Lyrics von
„War“, die ja auf einer Rede Haile
Selassie’s beruhen und eine weitestgehend ethnische
Argumentation aufweisen, durch eine von mir geschriebene Strophe mit
Bezug auf aktuelle neokolonialistische und wirtschaftsimperialistische
Phänomene ergänzt. Summa Summarum gibt es also viele
Künstler und Aspekte in deren Werken, die sich auf den
Einfluss Marley’s zurückführen lassen, aber
doch als eigenständig zu betrachten sind.
Wenn du mit deiner Frage allerdings meinst, welchen Künstler
ich im ästhetischen Sinne „nach“ Bob
Marley persönlich interessant finde, beziehungsweise welche
Künstler ich noch höre oder lese, dann wären
einige zu nennen. Wobei ich dazu eingangs anmerken muss, dass diese
nicht „vor“ oder „nach“ Bob
Marley kommen, sondern dass ich, je nach meiner persönlichen
Stimmung, Lust auf den einen oder anderen habe.
Bevor ich aber jetzt eine ewig lange Liste anführe,
beschränke ich mich chronologisch und stilistisch auf einen
Überblick.
Das würde im Klassik-Bereich von Leopold Mozart’s
„Schlittenfahrt“ bis zu Karl Orff’s
Carmina Burana, im Blues von John Lee Hooker bis Richie Havens, im Rock
von The Doors über das Spätwerk von Queen bis zu
Muse, im Reggae (neben den bereits erwähnten) von Burning
Spear bis Buju Banton, im Dancehall von Beenie Man bis Busy Signal oder
im Jungle von General Levy bis 6Blocc gehen. Die Liste der neueren
Musikstile wie DubStep, Grime oder Moombahton sind teilweise so
vielfältig, dass man kaum einen Überblick bewahren
kann und seien an dieser Stelle ohne exemplarischen Protagonisten
erwähnt. Reggaestory.de:
Doch nun ein wenig zu deiner Biografie. Eigentlich findet man ja noch
gar nichts über dich im Web? Ich habe dich lediglich schon
einmal als Toaster bei Selector Barrio Katz, beim 2013er Dubmatix
Auftritt in Dresden gesehen. Und heute hast du gesagt, dass du in
Dresden studierst, um später Englischlehrer zu werden. Dann
bin ich aber schon am Ende mit meinem Latein. Erzähle doch
einmal ein bisschen über dich. Fangen wir doch mit deinem
richtigen Namen und deinem Alter oder Geburtstag an.
Mit Dubmatix
und Selector Barrio Katz am 05.11.2013 in der Chemiefabrik Dresden
DreadEye:
Mit Vornamen heiße ich Lucas, wobei die meisten meiner
Bekannten und Freunde mich Luc nennen. Mit meinem Nachnamen hingegen
sprechen mich dann eher meine (Nachhilfe-)Schüler an. Im
Hinblick auf zukünftige Arbeitgeber, sprich Schuldirektoren
und implizit Kultusministerien (die mittlerweile auch gerne mal den
Kandidaten für einen Posten „googeln“),
halte ich so die bürgerliche Identität und das
künstlerische Alter Ego auseinander. Denn leider gibt es
heutzutage noch zu viele, wenn natürlich auch zum
Teil berechtigte Vorurteile gegenüber Musikern, aber im
Besonderen gegenüber Reggae-Musik. Im besten Fall wird Reggae
vom Laienpublikum ja mit „Bop Mahlii“ und langen
Haaren assoziiert. Häufiger aber leider mit
nicht-spezifiziertem Drogenkonsum und der in den letzten Jahren immer
wieder aufflammenden Homophobie-Debatte.
Als Lehrer habe ich eine hohe Verantwortung für und einen
gewissen Einfluss auf die mir anvertrauten Schüler und auch
wenn ich natürlich auch meine Persönlichkeit im
Unterricht zeige und als Mensch auf die Schüler zugehe, so
muss ich doch auch eine gesellschaftliche Institution
repräsentieren und die Schüler zu einem offenen,
kompetenten und auch eigenständigen Umgang mit dieser
befähigen.
Beispiel: Wenn ich als „rappender“ oder
„toastender“ Lehrer vor die Schüler trete,
finden einige von diesen das bestimmt „cool“, aber
ich würde damit meine eigene Person und indirekt meine
Wertvorstellungen und Weltanschauungen zur Norm erheben. Wie stark uns
Lehrer beeinflussen können, weiß denke ich jeder,
der sich an den fiesen Mathelehrer oder Geschichtslehrer in der 9.
Klasse erinnert.
Lehrer sollten meiner Meinung nach als Orientierungs- und
Reflexionshilfen der heranwachsenden Generation im Umgang mit der
Gesellschaft dienen und nicht blinden Normgehorsam in die
Schüler prügeln. Normen verändern sich
ständig und es bedarf eines gestärkten und
reflektierten Selbstbewusstseins, um mit diesen Veränderungen
umzugehen. Wenn ich aber nun „I shot the sheriff, but I
didn’t shoot the deputy“ zur Norm erhebe,
hören manche Achtklässler nach „I shot the
sheriff“ auf zu zuhören.
Ohne jetzt in eine Analyse dieses Songs zu verfallen, sei gesagt, dass
meiner Meinung nach nicht das Töten oder Anfeinden von
Autorität im Mittelpunkt des Songs steht, sondern die
Beschreibung des Missbrauchs von Macht und die Grenze dessen, was ein
Individuum an Unterdrückung vertragen kann, bevor es zu
radikalen Mitteln greift. Um diesen Kontext aber einem heranwachsenden
Menschen zu vermitteln, muss ich ihn zunächst im Bezug auf die
Diskurse „Ghetto-Life“,
„Rassendiskriminierung“,
„Gewaltenteilung“ etc. unterrichten und dann muss
ich neben diesem Faktenwissen auch noch die Fähigkeiten
vermitteln, die eine objektive Analyse und Beurteilung der Situation
bewirken können. Das wären Anforderungen, die ich
höchstens in einem gymnasialen Leistungskurs stellen
könnte, aber nicht auf den Schulalltag applizieren kann.
Ein anderes vielleicht besseres Beispiel: Gesetzt den Fall, dass ich
meine Identität auf Reggae-Musik, und damit diese Kultur
und/oder speziell die Rasta-Ideologie reduzieren würde,
könnte ich dann noch die Aussage von Lessing’s
„Ringparabel“ vermitteln?
Soviel zunächst einmal zum Latein. ;-)
Es gibt tatsächlich recht wenig von mir, also von DreadEye im
Netz, vorrangig deshalb, weil ich sehr kritisch mit meinen Produktionen
bin und lieber einen Song nicht hochlade, als etwas Halbfertiges in die
Welt zu schicken.
Es gibt ein paar Momentaufnahmen mit Volkanikman auf YouTube, die
meisten davon von seinen „iNaDeM“ bzw.
„Action No Words“ Veranstaltungen. Ansonsten nur
kurze Snippets von Soundchecks oder Videos, bei denen jemand
zufällig aus dem Publikum gerade einen Kameraschwenk Richtung
Bühne macht. Den obligatorischen Soundcloud-Account
gibt’s natürlich auch, aber da ist auch nur eine
Handvoll Tunes drauf.
Was meine Live-Aktivitäten betrifft, sieht das allerdings
etwas anders aus. Hier mal ganz grob eine Auswahl von Projekten der
letzten Jahre:
>>>
MC bei Kunst:Stoff
Breakz (Dresdner Sound Crew, Schwerpunkte: Wonky, Breakz,
House, Status: aufgelöst – allerdings stehe ich
gelegentlich als MC nach wie vor an der Seite eines meiner besten
Freunde und Mitstreiter bei Kunst:Stoff, der mittlerweile in Berlin
wohnt und hauptsächlich House spielt)
Links: DreadEye in
2004 beim Kunst:Stoff Breakz Rechts: DreadEye in
2010
>>>
MC und Mit-Organisator bei Whitebread
Hi-Fi (dienstältestes Soundsystem der
„neuen“ Bundesländer (seit 1995), based in
Dresden, Schwerpunkte: Reggae/Dancehall/Soca/Dub/Ska etc., Status:
aktiv, - Hier bin ich „Junior Member“, also erst
dabei, seit ich in Dresden wohne.
- Mit Ken Saro betreibe ich zusammen den „Thursday
Thunder“ weiter (monatliche Veranstaltung) >>>
MC und Frontman bei „jamkabOOm“
(Live-Band, Schwerpunkte: Drum´n´Bass, Dubstep,
Status: aufgelöst
- Hier habe ich Johannes kennen gelernt. ;-) >>>
Gelegentlich MC bei Pepe Le
Moko bzw. MC für DJ Barrio Katz
(DJ-Team, Schwerpunkt: MashUp, Status: aktiv (monatliche Veranstaltung
in Dresden namens „Fat Kat“)
Barrio Katz + DreadEye in 2013
>>> MC,
DJ und Mit-Organisator bei der „Global Bangerz –
Rum & Bass Posse“
(DJ Team, Schwerpunkte: Moombahton, Bassline House, Trap/DeepStep,
Status: aktiv – monatliche Veranstaltung in Dresden) >>> Organisator,
Techniker, Catering-Service ;-) und MC bei „Outta Many One
Sound“ (alljährliche Veranstaltung zur BRN in
Dresden mit ALLEN lokalen Sounds und Freunden, Schwerpunkt:
Reggae/Dancehall, Status: aktiv)
Neben diesen Projekten gab es über die Jahre immer wieder
verschiedene Zusammenarbeiten mit Producern, Live-Bands oder anderen
DJ’s, vorrangig aus Dresden, Berlin, Leipzig und
Münster, aber auch einige „internationale“
Features wie zum Beispiel mit Blend
Mishkin oder The Dirty
Dubsters.
Natürlich variiert mein Input je nach gespieltem Sound oder
Anlass: mal bin ich tatsächlich nur ein reiner Host,
häufiger aber erweitere ich das MC-Dasein um Live Lyrics. Zum
Beispiel zusammen mit Barrio Katz (da kann es schon mal passieren, dass
Ray Charles „I got a woman“ auf einem Drum and Bass
Track oder „Wonderwall“ von Oasis auf einem Soca
Riddim landet.
Bei der Rum & Bass Posse gibt’s dann Nirvana-Texte
auf House Music oder was mir grad einfällt. :-)
Es gab natürlich auch diverse Auftritte mit Solo-Projekten,
bei denen ich Sets aus meinen eigenen Lyrics präsentiere.
Meistens mische ich die aber auch in den „normalen“
Auftritten mit ein, je nachdem, wo und wann es sich anbietet. Reggaestory.de:
Und was war eigentlich dein Schlüsselerlebnis, um sich mit
Reggae näher zu befassen? DreadEye:
Ich habe mich wie bereits erwähnt, sehr früh schon
für Musik interessiert. Ich habe beispielsweise meinen
CD-Player gekauft als ich 6 oder 7 war und ich glaube zu meinem achten
Geburtstag einen Walkman von meinem besten Freund geschenkt bekommen.
Dieser Walkman hat mich von da an, beinah überall hin
begleitet und ich habe mir CD’s aus der Bibliothek
ausgeliehen und diese dann auf Tape überspielt, um sie mir
unterwegs anzuhören.
Als ich so 11 oder 12 Jahre alt war und meine Mutter mit meinem Bruder
und mir in den Urlaub gefahren ist, geschah das, was den meisten der
Walkman-Generation schon mal passiert ist: Mein Rock-Tape (mit Songs
von Queen, The Police, Jimi Hendrix u.a.) hatte einen
„Bandsalat“ und war nicht mehr zu retten. Ich stand
also für 3 Wochen irgendwo auf einem Campingplatz im
Süden Portugals ohne Musik da. Ich wusste aber, dass meine
Mutter im Handschuhfach des Auto’s immer einen (im wahrsten
Sinne des Wortes) Haufen verschiedener Tapes rumfliegen hatte. Ich
hatte mich da auch früher schon bedient und zum Beispiel ein
Tape mit Blues und Soul Arists der 1950er und 1960er gefunden, auf dem
von Ben E. King über Ray Charles bis Aretha Franklin alles
vertreten war.
So wühlte ich auch bei dieser Gelegenheit im Handschuhfach und
stieß auf ein Tape ohne Beschriftung, legte es ein und
hörte eine rauchig tiefe Stimme folgendes singen:
„Strange this feeling I’m feeling, but Jah love we
will always believe in. Though you may think my faith is in vain
… ‘til Shiloh we chant Rastafari’s
name!”
(Buju Banton, Intro zum Album “Til Shiloh”, 1994)
Mein Englisch war noch nicht so gut, dass ich jedes einzelne Wort
verstand, aber diese Stimme und die Emotion ließen mich
aufhorchen und gleichzeitig erstarren. Nach einer kurzen Stille
hörte ich einen Rhythmus, der mich entfernt an Blues
erinnerte, aber irgendwie „belebender“ war und eine
andere Stimme sang:
„One good thing about music: when it hits you, you feel no
pain … so hit me with music!”
(Bob Marley, “Trenchtown Rock”, 1971)
Soviel Englisch konnte ich wiederum schon verstehen und von da an war
es um mich geschehen. Die nächste Zeit hörte ich das
Tape rauf und runter, bis ich es einem Freund auslieh, der es leider
verloren hat. Ich machte mich darauf auf die Suche „nach den
Stimmen“ und da ich von meiner Mutter einen Anhaltspunkt
hatte, dass diese Musik wohl
„Rägä“ hieß, fragte ich
mich als Jugendlicher durch die Plattenläden, stieß
auf Buju Banton, Peter Tosh, Bob Marley, Linton Kwesi Johnson, Burning
Spear, Jacob Miller, Gregory Issacs, Dennis Brown, Garnet Silk und
viele mehr.
Im Laufe der Jahre lernte ich natürlich den Unterschied
zwischen Reggae und Dancehall kennen, besuchte meine ersten Dances und
während die meisten meiner Freunde Cypress Hill, Tupac oder
Wu-Tang hörten, war ich dem „one drop“
verhaftet.
Im Jahr 2002 fuhr ich schließlich zum Summerjam, um mir
Gentleman’s „Journey to Jah“ in Live zu
geben, und als wir auf den Abend warteten und ich vorschlug zu Anthony
B zu gehen, überredete mich ein Bekannter, dass
„Tuuts“ viel besser sei. Nur widerwillig ging ich
mit, aber mit den ersten Takten der Konzerteröffnung erkannte
ich eines meiner Lieblingslieder „des Tapes“ wieder
(„Pressure Drop“) und hatte die letzte Stimme mit
der von Toots Hibbert gefunden.
Es gab natürlich noch viele weitere Momente, die mich im Bezug
auf Reggae geprägt haben, aber dieses Tape und die
„Suche nach den Stimmen“ waren mein
„Introductory Course“. Reggaestory.de: Wie
kam es zum Spitznamen DreadEye und welche Schreibweise ist die richtige? DreadEye:
Als ich (wahrscheinlich an einem chilligen After-Show-Sonntag) mal
wieder eine Platte von Linton Kwesi Johnson hörte, kam in
einem Lied („Route 66“) die Zeile „feelin
Irie, dread I“ vor. Das ging mir nicht aus dem Kopf. Ich
drehte und wendete die Formulierung in meinem Kopf und interpretierte
sie auf verschiedene Weisen, so dass ein „sprechender
Name“ entstand:
a)
Dread = dreadlocks I = ich Interpretation: ich trage Dreadlocks als
signifikante Praxis b)
Dread = dreadlocks = pars pro toto Repräsentation einer
Kulturauffassung und einer Weltanschauung
I = ich
Interpretation: Ich teile bestimmte Aspekte einer Lebens-Philosophie c)
Dread = dreadlocks = pars pro toto Repräsentation einer
Kulturauffassung und einer Weltanschauung
I / EYE = Wahrnehmung / Identität
Interpretation: Durch die Gleichlautung von „I“ und
„Eye“, ist es meine Wahrnehmung, das was ich
„sehe“, was meine Identität bestimmt d)
Dread (das Verb im Imperativ) = bewahre dich vor, hüte dich vor
I = Ich
Eye = Wahrnehmung
Interpretation: Hüte dich davor, wenn ich meine Meinung sage
Der letzte Aspekt ist besonders signifikant, da ich
„Reggae“ und die Aussagen der diversen Artists als
ungeschönte, wahrhafte und ehrliche Beschreibung einer
bestimmten Lebens-Realität erfahren habe. Besonders im
Hinblick auf Themen wie „Kritik an rassistischen
Ideologien“, „kapitalistische Ausbeutung“
u.A. finde ich es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten.
Mir ist natürlich im Laufe der Jahre die Diskrepanz
aufgefallen, die zwischen mir, der in einer europäischen,
konkret der deutschen Gesellschaft aufgewachsen ist, besteht, und einem
Menschen, der in einer jamaikanischen „Garrsion“,
einem südamerikanischen „Barrio“ oder
einem südafrikanischem „Township“
aufgewachsen ist.
Daran schließt sich die Frage, inwieweit ich vor diesem
Hintergrund eine Position bzw. eine Haltung vertreten kann, die einer
völlig anderen sozialen und ökonomischen Lebensumwelt
entspringt, wenn ich einen Anspruch auf
„Truthfullness“ (=Ehrlichkeit/Wahrhaftigkeit)
erhebe.
Ehrlichkeit/Wahrhaftigkeit sind für mich besonders wichtige
Eigenschaften, nicht nur im Bezug auf meine Selbstwahrnehmung, sondern
auch im Umgang mit anderen Menschen. Ergo: Kann ich die
Aussagen/Haltungen von beispielsweise jamaikanischen Reggae-Artists
nicht einfach kopieren, sondern muss mich kritisch mit diesen
auseinander setzen, um zu einer eigenen Aussage zu kommen.
So müsste ich, aus heutiger Perspektive gesprochen, bestimmte
Aspekte, die sich mit einem Namen wie „DreadEye“
assoziieren lassen, durchaus revidieren bzw. neu definieren. Da ich
aber nach wie vor zu gewissen Grundaussagen stehe und diese auch
weiterhin repräsentieren will, bleibe ich dabei.
Pragmatisch betrachtet gibt es natürlich noch den praktischen
Grund, dass ich seit Jahren diesen Künstlernamen benutze und
mich somit viele unter eben diesem kennen.
Letztlich ist ein Name oder eine Schreibweise (natürlich mit
Rücksicht auf bestimmte Kontexte) aber für mich
weniger wichtig, als der Charakter der Person, die dahinter steht. Regaestory.de:
Auf deinem Hemd sehe ich einen Aufnäher vom Mecklenburger
Fusion Festival, dessen Logo in kyrillischer Schrift dargestellt wird.
Das kann heutzutage gar nicht mehr jeder hierzulande lesen. Welche
Beziehung hast du zu dem Festival? DreadEye:
Zunächst finde ich es mutig und einen besonderen Ausdruck von
Interkulturalität einen anglo-amerikanischen Begriff in
kyrillischer Schrift wiederzugeben. Soviel zu sogenannten
„Sprachbarrieren“ als Grenzen von Kultur.
Und natürlich hast du Recht zu sagen, dass das die meisten
nicht lesen können – ich kann zum Beispiel diese
Schrift auch nicht lesen – aber wie du selber sagtest: es ist
ein Logo, ein Symbol und dies wird von vielen Leuten erkannt, auch wenn
sie die Sprache nicht sprechen.
Ich habe dreimal auf dem Festival gespielt, unter anderem mit Pepe Le
Moko, aber auch als Solo-Artist. Auch wenn sich natürlich
dieses Festival unter dem enormen Besucheransturm der letzten Jahre und
auch aus anderen Gründen verändern musste, so finde
ich die Grundkonzeption im Vergleich zu anderen Festivals doch
wesentlich ansprechender.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Anstatt einem LineUp (bzw. Headlinern)
und einer Timetable hinterher zu rennen und ansonsten mit Scheuklappen
über ein Festivalgelände zu laufen, kann man auf dem
Fusion-Festival gar nicht alles sehen und hören. Nachdem ich
beim ersten Besuch am ersten Tag bestimmt viermal das Gelände
umrundet hatte, meine Socken und Füße durchgelaufen
waren, habe ich mich entschlossen, mich treiben zu lassen. Anstatt zu
bestimmten Uhrzeiten zu bestimmten Acts zu gehen, habe ich mich spontan
von dem, was um mich herum geschah, ansprechen lassen. Dadurch habe ich
Musiker und Poetry Slammer gehört oder Schauspiele und
Tanzperformances gesehen, auf die ich sonst wahrscheinlich nicht
geachtet hätte. So findet man sich plötzlich Samstag
nachts zur Prime Time, während das Festival um einen herum
tobt, mit einem älteren Herren wieder, der aus seinem
Wohnwagen heraus einen exzellenten Chai-Tee anbietet und
selbst-produzierten Goa-Trance im Hintergrund laufen lässt und
sich über das „special ingredient“
für seinen Chai und andere „secret
recipes“ und Kochtipps unterhält, die er von seinen
Reisen mitgebracht hat.
Neben dieser Offenheit ist das Festival auch ein erstaunlich
friedliches. Durch das vielfältige künstlerische
Angebot kommen die verschiedensten Leute dorthin, die sonst
wahrscheinlich wenig aus ihren Szenen hinauskommen. So sieht man beim
Frühstücksstand einen Punker in halb-zerfetzten
Klamotten neben einem durchgestylten und mit Glitzer-Konfetti
überzogenen jungen Mann sitzen.
Das faszinierendste für mich also ist, das Neben- und
Miteinander verschiedenster Menschen und Kulturen. Natürlich
läuft das Festival nur für ein paar Tage und danach
trennt man sich wieder, aber für eine kurze Zeit lebt man dort
eine Multikulturalität und Offenheit für seine
Mitmenschen, die man auf anderen Festivals oder gar im Alltag nur
selten in dieser Form vorfindet. Reggaestory.de:
Was machst du neben Studium und Musik? Gibt es da noch Hobbys? DreadEye:
Ich nehme mir viel Zeit, den Kontakt zu Freunden und Familie zu halten. Reggaestory.de:
Was sind Deine Ziele und Wünsche für die Zukunft? DreadEye:
Aktuell mache ich gerade die Prüfungen zum 1. Staatsexamen,
dass ich gut abschließen will. Danach werde ich mich
voraussichtlich irgendwo zwischen Lehrer- und Musikerdasein einpendeln. Reggaestory.de:
So umfangreich und tiefgründig deine Antworten bisher
ausgelegt waren, sollte es mich nicht wundern, wenn du irgendwann noch
ein Stückchen weiter studierst. Gehen wir deshalb zur
Auflockerung mit ein paar kurzen Fragen in etwas leichtere Gefilde
über.
Was ärgert dich am meisten? DreadEye:
Ignoranz. Reggaestory.de:
Mit was kann man dir eine Freude bereiten? DreadEye:
Mit Perfektem Sound.
Reggaestory.de: Schwimmen oder Laufen? DreadEye:
Sonntagsspaziergang durch den Wald. Reggaestory.de:
Lesen oder Fernsehen? DreadEye:
Lesen. Reggaestory.de:
Was war deine erste Platte oder CD? DreadEye:
Das erste Tape: W.A. Mozart’s „Eine kleine
Nachtmusik“.
Die erste CD: The Police „Live“.
Die erste Platte: Queen “Queen I”. Reggaestory.de:
Bist du lieber ein Stadt- oder Landmensch? DreadEye:
Grenzgänger, aber zur Zeit lebe ich mitten in der Stadt. Reggaestory.de:
Bier, Wein oder alkoholfrei? DreadEye:
Zu einem Dance gerne mal ´n Rum&Coke, Sonntag abends
Single Malt Scotch,
ansonsten Tee. Reggaestory.de:
Dein Lieblingsessen? DreadEye:
Lecker, warm und reichlich. Reggaestory.de:
Was gibt´s zu Weihnachten? DreadEye:
Die ganze Familie um einen Tisch. Reggaestory.de:
Vollmilch- oder Bitterschokolade? DreadEye:
Beides. Reggaestory.de:
Fährst du Auto? DreadEye:
Ich kann Auto fahren, habe aber keines und benutze, wenn
möglich auch lieber die öffentlichen Transportmittel. Reggaestory.de:
Raucher oder Nichtraucher? DreadEye:
Smoker. Reggaestory.de:
Hund oder Katze? DreadEye:
Katze. Reggaestory.de:
Sommer oder Winter? DreadEye:
Zu dem Thema hab ich mal ne Kurzgeschichte geschrieben. Die spar ich
dir aber jetzt. ;-)
Nur soviel: Sommer und Winter, Tag und Nacht oder Ying und Yang, das
eine bestimmt das andere und ist somit Teil dessen. Wie könnte
ich den Sonnenschein als solchen kennen und schätzen wissen,
wenn ich die Nacht nie erfahren hätte? Reggaestory.de:
Letzte Frage. Möchtest du noch selbst etwas an die Frau oder
den Mann bringen? DreadEye:
Beachte deine Freiheit dort als begrenzt, wo die Freiheit deines
Mitmenschen beginnt. (frei nach J.P. Satre) Reggaestory.de:
Ich danke dir für Deine Zeit und das
äußerst ausführliche Interview. Ich
wünsche dir viel Erfolg für die Zukunft! DreadEye:
Und ich danke dir, für deine Mühe und
Unterstützung!
Copyright: www.reggaestory.de
Text + Fotos + Videokamera: Peter Joachim
Fotos ohne Kennzeichnung: Mit freundlicher Genehmigung von DreadEye
Mein besonderer Dank geht an Bodo Martin alias Mr. Crazy Hair, Luc
alias DreadEye
und alle anderen Künstler des Abends.