|
|
RAINER BRATFISCH - "I DON`T LIKE
REGGAE - I LOVE IT" - 28.08.2006
|
|
Diesen
Ausspruch von Bob Marley machte Rainer Bratfisch zu seinem Motto. Das
Reggae-Fieber packte ihn, wie viele andere, als er Mitte der siebziger
Jahre
die ersten Platten von Bob Marley in die Hände bekam.1990
folgte dann
seine erste Reise nach Jamaika zum Reggae Sunsplash nach Montego Bay
und
anderen Zielen. Wer einmal dem Reggae und dessen Ursprungsland
verfallen ist,
wird nachvollziehen können, dass noch weitere Reisen
folgten.Irgendwann
fasste
Rainer Bratfisch den Entschluss, zu diesem Thema ein Nachschlagewerk zu
entwickeln. 1999 war es dann so weit und das erste Reggae-Lexikon kam
auf den
deutschen Markt. |
Das Werk erschien in der
Lexikon-Reihe des Lexikon Imprint
Verlages, einem Ableger des Verlages Schwarzkopf & Schwarzkopf
in Berlin,
und hatte bereits einen ansehnlichen Umfang von 352 Seiten.
Im Jahr
2003 gab es
dann eine Neuauflage im größeren Format, mit
inzwischen 590 Seiten. Die
Verarbeitung dieses Themas in einem Lexikon ist nicht einfach. Auch der
Autor
hat dies selbst erkannt und bittet im Vorwort um Verständnis
für eventuelle
Fehlerteufel. Zu widersprüchlich sind oft die vorliegenden
Quellen. Dies ist zum einen in der
Mentalität der Künstler begründet, die nicht
selten ihre Biografien selbst
schönreden. Da kann es schon mal vorkommen, dass in
unterschiedlichen
Veröffentlichungen selbst die Geburtsjahre differieren. Die
Kritiken ließen
also nicht lange auf sich warten. Trotz aller Kritik sollte aber nicht
vergessen werden, dass mit diesem Buch bis jetzt das einzige
verfügbare deutschsprachige
Nachschlagewerk für dieses Thema existiert. Hoffen wir, dass
dieses Buch in
Zukunft noch weiter ausgebaut und verbessert wird. Die nächste
Ausgabe wird
sicherlich nicht mehr in ein einziges Buch passen. Rainer Bratfisch
wird am 9.
November seinen 60. Geburtstag feiern. Wir nehmen dies zum Anlass, ihm
schon
jetzt alles Gute zu wünschen und möchten ihm
außerdem ein paar Fragen stellen.
Peter:
Deinem
Lebenslauf entnehme
ich, dass du in Bad Berka bei Weimar in Thüringen geboren
bist. Das liegt in
der ehemaligen DDR. Wie kam man denn damals überhaupt an
Informationen über den
Reggae?
Rainer:
Ja, das
war natürlich
schwierig, es gab ja weder Musikzeitschriften noch -bücher aus
dem „Westen“ zu
kaufen. Nicht zu vergessen: Es gab ja damals auch weder Computer
für den
privaten Gebrauch noch das Internet. Informationen kamen oft auf recht
verschlungenen Wegen in die DDR. Ich habe zum Beispiel Polnisch
gelernt, um die
polnischen Musikzeitschriften lesen zu können, die damals
wesentlich
weltoffener über die internationale Musikszene berichteten. Zu
Konzerten bin
ich damals nach Warschau, Budapest oder Prag gefahren. Queen habe ich
zum
Beispiel 1986 in Budapest erlebt – einen Monat zuvor waren
sie in Westberlin, das
aber damals für uns Ostdeutsche unerreichbar war. Das Foto
für meinen ersten
Artikel über Bob Marley, der im Januar 1979 in der Zeitschrift
„Melodie und
Rhythmus“ erschien, hatte ich mir von einem Freund aus Prag
besorgt. Ich habe
akribisch alles Gedruckte über Reggae gesammelt, was ich
kriegen konnte. 1983
habe ich dann eine Broschüre über Reggae geschrieben,
veröffentlicht vom
Leipziger Zentralhaus für Kulturarbeit in der Reihe
„In Sachen Disko“.
Wohlgemerkt: ohne jemals in Jamaika gewesen zu sein. In der DDR gab es
gerade
mal eine Band, die sich zwar „Reggae Play“ nannte,
aber lediglich einen blöden
Spaß-Reggae spielte. Ich hatte dann die Absicht, ein Buch
über Reggae zu
schreiben, für den Verlag Lied der Zeit, einen Vertrag hatte
ich bereits dafür,
aber da kam die Wende, und der Verlag löste sich wenig
später in Wohlgefallen
auf. Da hatte ich bereits sehr gute Kontakte zur Deutsch-Jamaikanischen
Gesellschaft, die mich auch bei der Vorbereitung meiner ersten Reise
nach
Jamaika unterstützt hat.
Peter:
Was hat
dich in Jamaika
besonders beeindruckt, außer deinem Reisegrund, den Spuren
des Reggae zu
folgen?
Rainer:
Natürlich war es mein
sehnlichster Wunsch, Jamaika, das Land meiner Träume, auch
persönlich kennen zu
lernen. Meine erste große Reise nach dem Fall der Mauer
machte ich dann im
Sommer 1990 zum Reggae Sunsplash nach Montego Bay.
Ich war der
erste
Journalist, der aus der zu diesem Zeitpunkt ja offiziell noch
existierenden DDR
kam. Ein amerikanischer Fernsehsender fragte mich in einem Interview,
ob ich
nicht so etwas wie einen „Kulturschock“
verspüre. Ich habe, glaube ich,
verneint. Die Musik kannte ich zwar, aber immer nur sozusagen aus
„zweiter
Hand“. Es war ganz einfach phantastisch, zum Beispiel Burning
Spear bei
Sonnenaufgang auf dem Festivalgelände am Hafen von
Mo’bay zu erleben. Und mit
den Musikern zu reden.
Ich bin
dann noch ein paar Wochen in Jamaika geblieben,
bin kreuz und quer durchs Land gezogen. Ein Rasta hat mich mit in die
Berge von
Clarendon genommen. Was mich an Jamaika besonders beeindruckt hat?
Vielleicht
die Lebensweise. Diese Vibrations, die von den Leuten ausgehen, dieses
Lebensgefühl, das ja dem normal-deutschen diametral
entgegengesetzt ist. Dieses „soon comes“.
Peter:
Wann und
warum reifte dein
Entschluss, ein Reggae-Lexikon zu schreiben?
Rainer:
Mein Buchprojekt zum Thema
Reggae hatte sich ja mit der Wende sozusagen von selbst erledigt. Und
im neuen,
wiedervereinigten Deutschland gab es bereits einige sehr gute
Bücher zum Thema.
Ich nenne hier nur mal die Veröffentlichungen von Hermann
Moter, Rainer Epp,
Peter M. Michels, Theja Schwaner und Udo Vieth/Michael Zimmermann. Was
meiner
Meinung nach fehlte, war ein Lexikon, in dem man Stile, Labels,
Biografien,
Diskographien usw. nachschlagen konnte. Da gab es in
Großbritannien „Reggae –
The Rough Guide“, „The Guinness Who’s Who
Of Reggae“ und vor allem Colin
Larkins äußerst verdienstvolle „Virgin
Encyclopedia Of Reggae“. In Deutschland
gab es nichts Vergleichbares. Und als der Verleger Oliver Schwarzkopf
dann 1999
seine Lexikon-Reihe startete, war er ganz begeistert von meinem
Vorschlag, da
auch den Reggae zu integrieren. 1999 erschien dann mein
„Reggae-Lexikon“ in der
gelben Reihe, vier Jahre später die stark erweiterte Auflage,
„Das große
Reggae-Lexikon“. Da ist von Ska und Mento über den
eigentlichen Reggae bis zum
Dancehall alles drin – auch die deutschen Interpreten. Beide
Ausgaben haben
sich ganz gut verkauft.
Peter:
Wird es in Zukunft ein
weiteres Lexikon geben? Wie sind deine Pläne?
Rainer:
Eine
schwere Frage. Der
Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf hat sich weitgehend von seinem
Lexikon-Programm verabschiedet. Ein Argument ist, dass in einer so
lebendigen
Szene wie dem Reggae ein solches Lexikon beim Erscheinen schon wieder
veraltet
ist. Jeder weiß, wie fleißig die Jamaikaner bei der
Veröffentlichung neuer CDs
sind, und wie schnell sich die Szene verändert. Ich
ergänze und aktualisiere
meine Datenbank ständig. Sie hat aber im Laufe der letzten
Jahre einen solchen
Umfang angenommen, dass ihr Inhalt wohl nicht mehr zwischen zwei
Buchdeckel zu
pressen ist. Vielleicht finde ich einen Weg, diese Datenbank
öffentlich
zugänglich zu machen. Aber vielleicht findet sich auch ein
Verlag, der das
Wagnis eingeht und ein zweibändiges Lexikon herausbringt. Das
Fernsehen hat ja
auch nicht das Kino ersetzt, und so wird es wohl auch weiter Lexika
geben.
Peter:
Was machst du sonst noch
neben dem geliebten Thema? Was kommt danach, oder kommt noch etwas
davor?
Rainer:
Als Musikjournalist
beschäftige ich mich ja nicht nur mit dem Reggae. Nicht nur,
weil man allein
davon nicht leben kann, sondern auch, weil ich nicht zum
Schmalspurschreiber
verkommen will. Ich sehe auch den Reggae immer als Teil der weltweiten
populären Musik. Im September ist bei Schwarzkopf &
Schwarzkopf „Das große
Beatles-Lexikon“ von mir erschienen. Da gibt es zum Beispiel
ein Stichwort
„Reggae“. Schließlich war ja
„Ob La Di, Ob La Da“, 1968 auf dem
„Weißen Album“
veröffentlicht, eine direkte Reaktion der Beatles auf den
Reggae. Sogar ein
Desmond (Dekker) kommt darin vor. Reggae-Interpreten haben immer wieder
Songs
der Beatles gecovert – siehe die Trojan-Box
„Tribute To The Beatles Reggae
Style“. Solche Querverbindungen interessieren mich immer. Ich
habe auch schon
Bücher wie „Blues heute“ und
„Freie Töne – Die Jazzszene in der
DDR“
geschrieben. Was ich als Nächstes schreibe, weiß ich
noch nicht. Vielleicht ein
Buch über Reggae German Style, über „Reggae
in Deutschland“? Gibt’s ja noch
nicht. Soon comes.
Peter:
Hast du eine Botschaft an
die anderen Reggaefans, und was sind deine persönlichen
Wünsche in diesem
Zusammenhang?
Rainer:
Nein, ich bin Journalist,
und Journalisten sind nicht die Verkünder großer
Botschaften. Ich kann nur
immer wieder darauf hinweisen, dass die aktuelle Musik, also auch der
Reggae,
einen relativ leicht zugänglichen Schlüssel zum
Verständnis anderer Kulturen,
anderer Völker, anderer Ideen liefert – wenn man
Reggae nicht nur zum Abtanzen
oder den nächsten Chill Out benutzt, wenn man sich mit den
Inhalten, dem
kulturellen Background, den Ambitionen und Intentionen der Interpreten
beschäftigt. Wenn ich dabei mit meinen
Veröffentlichungen ein wenig
Orientierungshilfe leiste, habe ich viel erreicht. Meine
Wünsche? Die Ohren
offen zu halten für ungewohnte, neue Klänge. Immer
mal wieder über den
Tellerrand hinaus zu hören in die weite Welt. Ich zitiere in
meinem Buch Bob
Marley: „Wenn die Leute Reggae sagen, erwarten sie eine
bestimmte Art Musik.
Was mich angeht, so habe ich der Sache nie einen Namen gegeben, Ich
spiele
einfach Musik.“ Wie sagen die Jamaikaner? „Out
of many – one people“. Und den viel zitierten
“respect” vermisse ich hierzulande
öfter als in Jamaika. Bei allen Problemen, die es dort (wie
hier) gibt.
Peter:
Ich freue mich, dass du
die Zeit gefunden hast, mir ein paar Fragen zu beantworten. Ich
wünsche dir
viel Erfolg für deine weiteren Pläne. Vielen Dank
für das Interview.
Und
für alle Kritiker am Reggae-Lexikon gibt es hier noch eine
Aufgabe zu lösen.
Dies nur als Beispiel, wie widersprüchlich selbst
zuverlässige Quellen sein
können. Versetzt
Euch mal in die Rolle des neuen
Reggae-Lexikon-Verfassers. Ich gebe Euch zwei verschiedene Quellen und
Ihr sagt
mir, ob Bob Marley oder seine Mutter Cedella Booker die richtige
Variante
erzählt haben. Vielleicht haben ja auch beide das Richtige
gesagt und es hat
jemand nicht richtig übersetzt, oder hat Rita Marley
(zumindest bei Cedella
Booker) bei der Korrektur einen Fehler gemacht , ... oder, oder ...? Im
Buch
„Bob Marley in eigenen Worten“ von
Ian McCann kann man auf Seite 17 nachlesen: "... Irgendwann hatte
Desmond
(Desmond Dekker) dann mal einen Unfall, ein winziger Eisensplitter flog
ihm ins
Auge ...“ usw. Hier geht es um die Schweißerlehre,
die Bob Marley gemeinsam mit
Desmond Dekker in jungen Jahren angefangen hatte. Der Eisensplitter
wird mit zu
einem Anlass der künftigen Musikerlaufbahn und zur Aufgabe des
Schweißerberufs.
Desmond nahm während seiner Genesung Bob zu Probeaufnahmen mit
usw. usf..
Im Buch
„Bob Marley Songs of Freedom – Die
Bildbiographie autorisiert von Rita Marley“ von Adrian Boot
und Chris Salewicz,
behauptet Cedella Booker auf Seite 60 genau das Gegenteil. Sie
berichtet über
Bob: „... Eines Tages schweißte er Stahl und ein
Stück Metall flog hoch und
blieb im Weißen seines Auges stecken ...“ usw.
usf..
Auch hier wird der
Eisensplitter zum Mitauslöser der Musikerlaufbahn und Aufgabe
des
Schweißerberufes.
Es geht um
dieselbe Schweißerlehre! Wer
streut uns denn nun Sand (oder besser Eisensplitter) in die Augen? Wie
hat es
sich denn nun zugetragen?
Viel
Spaß beim Recherchieren!
Copyright: Reggaestory
Fotos by Rainer Bratfisch
|
Zurück
|
|
|